Reisen unter Vorbehalt
4. Mai 2021Von null auf 100 - so eine Wiedereröffnung nach einem halben Jahr verordneter Pause hat Hotelier Karsten Werner noch nicht erlebt. Der Geschäftsführer des Strandgut Resort Hotels in Sankt Peter-Ording hat am ersten Wochenende nach dem Lockdown alle 98 Zimmer vermietet, 200 Gäste sind angereist: "Das war sportlich für uns alle, denn Fehler darf es nicht geben. Alle schauen schließlich auf die Modellregion."
Die Zimmer waren vorher nicht belegt, viele Gäste stehen schon am frühen Morgen von der Rezeption bis auf den Parkplatz Schlange. Endlich ist Urlaub im eigenen Land erlaubt. Geduldig warten sie auf das Einchecken mit den zahlreichen Auflagen, die das Modellprojekt einfordert. "Alle sind ruhig und kooperativ. Die Sehnsucht nach einem Stück Freiheit war bei allen groß", sagt Karsten Werner.
Er und sein Team sind gemeinsam mit mehr als 300 Gasthäusern in Sankt Peter-Ording und Umgebung Teil der Modellregion Nordfriesland, in der touristische Reisen mit Übernachtungen, Besuche in Restaurants und Cafés wieder möglich sind. Auch die beliebten Nordseeinseln Sylt, Amrum, Föhr und Pellworm gehören dazu. Mehr als 5000 Betriebe in Nordfriesland haben sich angemeldet, weitere sollen folgen.
Gut vorbereitet
Auch für die Leiterin der Tourismuszentrale in Sankt Peter-Ording, Katharina Schirmbeck, ist es ein Neustart. Zum ersten Mal seit ihrem Amtsantritt dürfen Urlauber wieder an der Nordsee übernachten. "Es ist endlich wieder was los in St. Peter-Ording. Alle Betriebe haben sich im Detail vorbereitet und sind jetzt glücklich, die Gäste begrüßen zu dürfen." Die Buchungslage sei dynamisch, weil sich immer noch Betriebe nachmeldeten.
Allerdings müssen Gäste bereits vor der Anreise dem umfangreichen Regelkanon der Modellregion schriftlich zustimmen. Dazu gehören: Einen negativer Antigen-Schnelltest beim Einchecken ins Hotel, die Zustimmung, dass Testergebnisse und persönliche Daten aufgenommen und ausgewertet werden sowie die Bereitschaft, alle 48 Stunden ein neues negatives Testergebnis vorzulegen.
Während ganz Deutschland im strengen Lockdown verharrt, startet Nordfrieslands Tourismus durch und darf seine Häuser voll belegen. Vorausgegangen war vor zwei Wochen bereits erfolgreich die erste Modellregion an der Ostsee: Dazu gehören die Schleiregion mit Eckernförde.
Über der neu gewonnenen Freiheit schwebt allerdings das Damoklesschwert des Abbruchs. Gesundheitsamt und Mediziner überwachen täglich das Geschehen an Nord- und Ostsee. Steigt in einer Region die Inzidenz über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen, wird das Projekt abgebrochen und Touristen müssen abreisen.
Viele Testzentren
Damit es nicht soweit kommt, sind großflächig Testzentren eingerichtet worden - im Strandgut Resort, am Kurpark und an vielen Strandübergängen. In Sankt Peter-Ording sind es zehn mit einer Schnelltest-Station für Fahrradfahrer. In den Restaurants wird der QR-Code eines aktuellen Schnelltest eingescannt oder die Personalien über die Luca-App aufgenommen.
Wer vollständig geimpft ist, braucht keinen Test. An die Maskenpflicht wird auf großen Schildern in der Fußgängerzone erinnert sowie auf der Seebrücke und dem Vorplatz. Mitarbeiter eines Sicherheitsdiensts weisen freundlich aber bestimmt auf das korrekte Tragen der Masken hin. Das Modellprojekt läuft bis Ende Mai mit Aussicht auf Verlängerung.
Ein Stück Freiheit
"Wir wollten einfach nur raus aus Bayern", lacht Claudia Hartmann erleichtert. Sie und ihr Mann aus der Nähe von Ingolstadt, beide arbeiten in der Altenpflege und sind zweimal geimpft, haben sofort einen Wohnmobil-Stellplatz gebucht, als sie von dem Modellprojekt hörten. Sie stehen für zwei Wochen auf einem Campingplatz in Tating nördlich von Sankt Peter-Ording und fahren jetzt mit ihren Rädern an der Nordseeküste entlang.
"Es ist ein Stück Freiheit. Wir genießen das sehr", erklärt die 57-Jährige Touristin. Sie wären gern ins Allgäu gereist, aber nun hat es sie in den hohen Norden verschlagen. Die Beschränkungen stören sie nicht, "wenn das der Preis für die Freiheit ist, dann nehmen wir das gern in Kauf", bestätigt Hans Hartmann.
Bei kühlen zehn Grad und Sonnenschein genießt auch Lea Jansen gemeinsam mit ihrem Freund den ersten Sonntag im Mai im Strandkorb an der Nordsee. Sie sind für einen Tag aus Hamburg angereist, um frische Luft zu schnappen, auszugehen, dem strengen Großstadt-Lockdown zu entkommen.
Sie haben sich Fischbrötchen und Kaffee "to go" an der Seebrücke geholt und brauchen dafür keinen Negativtest. Denn wer nur zum Spazierengehen kommt, muss sich nicht registrieren und nicht testen lassen. Karsten Werner vom Strandgut Ressort unterstützt diese Vielfalt: Wer will, kann vor seinem Hotel auch Snacks und Getränke zum Mitnehmen an einem hauseigenen Verkaufsstand kaufen.
Bauchschmerzen, dass etwas schief geht, hat Karsten Werner nicht. "Mit drei verschiedenen Essenzeiten, Abstandsregeln und Trennwänden im Restaurant haben wir hier schon im vergangenen Sommer für Sicherheit gesorgt", ist er überzeugt. Er blickt entspannt auf den gut gefüllten Vorplatz Richtung Seebrücke: "Himmelfahrt und Pfingsten, da wird es erfahrungsgemäß erst richtig voll hier bei uns."
Verantwortung für die Branche
Mitten im Ortskern von Sankt Peter-Ording hat auch Hotelier Marco Lass sein Strandhotel mit 60 Zimmern wiedereröffnet. Er ist zu 70 Prozent ausgelastet und das Telefon an der Rezeption klingelt Sturm. "Viele Stammgäste fragen, ob wir wirklich geöffnet haben. Einige stornieren oder buchen um, es ist viel Bewegung in den Buchungen." Auch seine Gäste müssen sich zum Frühstück und beim Abendessen für ein Zeitfenster entscheiden.
Als Teil des Modellprojekts ist er sich der Verantwortung bewusst, die er und alle anderen hier für die ganze Branche tragen: "Das ist kein Problem, wir können das, es müssen sich alle nur alle an die Spielregeln halten."