Endspurt im Kampf um den Supreme Court
25. August 2018Es könnte der lauteste Widerstand gegen Brett Kavanaugh werden, seit US-Präsident Donald Trump den erzkonservativen Juristen im Juli für das höchste Richteramt vorschlug: Etwas über eine Woche vor dem geplanten Beginn der Anhörungen im US-Senat haben mehr als 70 Organisationen und Vereine für diesen Sonntag einen "nationalen Aktionstag" gegen die mögliche Bestätigung des 53-Jährigen als Richter am Supreme Court ausgerufen.
Landesweit sind rund 150 Veranstaltungen geplant - Demonstrationen, das gemeinsame Schreiben von Protest-Briefen an Senatoren, ununterbrochene Anrufe in deren Büros. Das passende Hashtag gibt es auch: Unter #StopKavanaugh mobilisieren Twitter-Nutzer gegen den kontroversen Richter, darunter die Schauspielerinnen Alyssa Milano und Chelsea Handler, Kongressabgeordnete und Bürgerrechtsgruppen.
"Die Menschen wissen, was in diesem Kampf auf dem Spiel steht", so Ilyse Hogue, Präsidentin von NARAL Pro-Choice America, einer Vereinigung, die sich für die Erhaltung liberaler Abtreibungsgesetze einsetzt und den Protest mitorganisiert. Kavanaugh würde als Oberster Richter "das Recht auf Abtreibung, Arbeiterrechte, die Rechte von Homosexuellen und die Rechte von Einwanderern für Generationen schwächen", wird Hogue in einer Pressemitteilung der Organisation zitiert.
"Größter Kampf einer Generation"
Was nach Panikmache klingen mag, macht vielen Amerikanern Angst. Schon seit Wochen bestimmt die Auseinandersetzung um die Nominierung Kavanaughs immer wieder die nationalen Schlagzeilen. Nur einen Tag nach der Ankündigung Trumps sprach das US-Medium Vox vom "größten Kampf um den Supreme Court einer Generation".
Zwar ist es nicht unüblich, dass linke und rechte Aktivisten vor der Neubesetzung einer Stelle am Obersten Gerichtshof für oder gegen den Kandidaten Stimmung machen. Auch Millionenausgaben für politische Werbespots durch Lobbygruppen sind keine Ausnahme. Doch das Engagement, mit dem Kavanaugh im Vorfeld der Senatsentscheidung bekämpft und auch unterstützt wird, ist außergewöhnlich.
Kein Wunder: Nach dem Willen Trumps soll sein Kandidat, derzeit Richter am Berufungsgericht in Washington, D.C., die Stelle des altersbedingt zurückgetretenen Obersten Richters Anthony Kennedy übernehmen - wie üblich auf Lebenszeit. Bisher war Kennedy immer wieder die entscheidende Stimme, die mal den progressiven, mal den konservativen Flügel des neunköpfigen Organs stärkte. Bei einer Bestätigung wäre Kavanaugh schon der zweite von Trump persönlich ausgewählte Oberste Richter. Damit könnte sich auf Jahrzehnte eine konservative Fünf-zu-vier-Mehrheit im Supreme Court etablieren und dessen ideologische Ausrichtung sich klar nach rechts verschieben.
Unbeliebtester Kandidat seit 30 Jahren
Kritiker befürchten unter anderem, dass Kavanaugh seinem Förderer Trump juristische Immunität verschaffen könnte. Es sei "ungehörig für den Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen Obersten Richter auszusuchen, der bald in einem Prozess Richter sein könnte, an dem der Präsident selbst beteiligt ist", sagte Chuck Schumer, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat. Zuvor hatte sich Trumps Ex-Anwalt Michael Cohen der illegalen Wahlkampffinanzierung schuldig bekannt und Trump erstmals in die Nähe von Vergehen gerückt, die potentiell zu einem Amtsenthebungsverfahren führen könnten.
Auch Kavanaughs Positionen zum Thema Abtreibung, zu bestehenden Waffengesetzen und zur Reform des Gesundheitssystems in der Obama-Ära sind höchst umstritten. Das sorgt nicht nur bei den Demokraten für Verunsicherung: Während eine Befragung des Senders Fox News nahelegt, die amerikanische Bevölkerung sei in Sachen Kavanaugh gespalten, ist er Umfragen der US-Meinungsforschungsunternehmen Gallup und SSRS zufolge der unbeliebteste Kandidat für einen Richterposten am Supreme Court seit der Ablehnung Robert Borks, des Kandidaten des damaligen Präsidenten Ronald Reagan, 1987.
In der von CNN in Auftrag gegebenen SRSS-Umfrage etwa gab die Mehrheit der Befragten an, eine Bestätigung Kavanaughs abzulehnen, immerhin 35 Prozent hielten seine Ansichten für "zu extrem". Da hilft es offenbar nicht, dass Kavanaugh beteuert hat, "in jedem Prozess unvoreingenommen zu bleiben" und stets danach zu streben, "die Verfassung der Vereinigten Staaten und die amerikanische Rechtsstaatlichkeit zu bewahren".
Kopf-an-Kopf-Rennen im Senat
Eine weitere Erklärung dafür, dass die Debatte um den Juristen so erbittert geführt wird, ist der Zeitpunkt seiner Nominierung: Im November stehen die Zwischenwahlen an, bei denen sich das Kräfteverhältnis im Kongress verschieben könnte. "Hier geht es auch um Wahlkampf, für Kandidaten beider Parteien", sagt Thomas Greven, der am John F. Kennedy Institute der Freien Universität Berlin Politikwissenschaft lehrt. Hinzu kommt, dass das Ergebnis der Abstimmung äußerst knapp ausfallen könnte, auch wenn eine Bestätigung Kavanaughs derzeit wahrscheinlicher ist.
Dass die Anhörung Kavanaughs durch eine Verzögerungsstrategie noch verschoben werden könnte, hält Patrick Horst, Politologe am Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie der Universität Bonn, nicht für ausgeschlossen. Mit der Forderung der Demokraten, dass man alle Akten zu Kavanaughs Arbeit in der Bush-Administration sichten müsse, um eine informierte Entscheidung zu treffen, ist die Partei zwar bislang gescheitert. Aber laut Horst ist es "durchaus möglich", dass noch unentschlossene Republikaner eine solche Strategie "zumindest vorsichtig unterstützen. Sie könnten argumentieren, dass sie Kavanaugh gründlich prüfen und anhören wollen und das Verfahren so in die Länge ziehen".
Showdown noch im September?
Dass es tatsächlich noch vor dem 1. Oktober, dem Beginn der neuen Sitzung des Obersten Gerichts, zum Showdown im Kavanaugh-Krimi kommt, ist also wahrscheinlich, aber nicht sicher. Fest steht: Sollte er als Richter am Supreme Court bestätigt werden, könnte das nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch die ohnehin schon gespaltene amerikanische Gesellschaft langfristig weiter polarisieren.
Der US-Präsident ist sich der Tragweite seines Vorschlags offenbar bewusst. "Ich habe oft gehört, dass dies [die Wahl eines Obersten Richters] neben der Frage von Krieg und Frieden die wichtigste Entscheidung ist, die ein Präsident treffen wird", sagte Trump bei der Nominierung Kavanaughs. Damit könnte er Recht haben.