Energiewende in Deutschland mit Kolumbiens schmutziger Kohle
27. November 2023"Das Monster" hat Greylis Pinto vertrieben, und ihr Leben ist nicht wirklich besser geworden, sagt sie. "Das Monster" ist der unter den Anwohnern gängige Name für El Cerrejón, den größten Steinkohletagebau Lateinamerikas im Norden Kolumbiens. Auf 69.000 Hektar, einer Fläche fast so groß wie 100.000 Fußballfelder, wird hier jedes Jahr mit einer Produktion von knapp 20 Millionen Tonnen Kohle für den Energiehunger der Welt abgebaut, auch den von Deutschland.
Menschen wie Pinto sollen dem lukrativen Geschäft des Schweizer Unternehmens Glencore, das 1995 die Abbaurechte erwarb, mit einem Jahresumsatz in 2022 von 256 Milliarden US-Dollar nicht im Wege stehen.Ihre afrokolumbianische Gemeinde Chancletawurde deswegen vor elf Jahren von kolumbianischen Behörden zwangsumgesiedelt. Pinto gegenüber der DW: "Unsere aktuelle Situation ist erbärmlich. Wir leben jetzt weit weg von unserer Heimat, wo wir alles hatten, vor allem Sicherheit in Bezug auf unsere Ernährung. Jetzt haben wir gar nichts: kein Wasser, keine Gesundheit und keine Jobs."
Pinto ist gerade mit den beiden Menschenrechtsaktivistinnen Carolina Matíz und Tatiana Cuenca quer durch Europa unterwegs, um unter anderem auf die prekäre Situation der Gemeinden aufmerksam zu machen, die vom "Monster" quasi geschluckt und an einem anderen Ort wieder ausgespuckt wurden.
Fatale Folgen der Zwangsumsiedlungen
Für "Nueva Chancleta" heißt das: das neue Land sei für Landwirtschaft gar nicht geeignet, die Wasser- und Gasversorgung funktioniere oftmals nicht und es gebe schlichtweg nicht genug Arbeit. 2015 hat sogar das Verfassungsgerichts Kolumbiens bestätigt, dass durch die Zwangsumsiedlung die Rechte der Gemeinde auf gesunde Umwelt, sauberes Trinkwasser und Leben verletzt wurden.
Tatiana Cuenca, Koordinatorin des Programmbereichs Wasser und Bergbau-Konflikte bei der kolumbianischen Umweltschutzorganisation Censat Agua Vida sagt gegenüber der DW: "Seit 40 Jahren wird im Cerrejón Kohle abgebaut, und der Vertrag sieht zehn weitere Jahre vor. Und dies in La Guajira, der ärmsten Region Kolumbiens, wo in den letzten zehn Jahren mehr als 5.000 Kinder an Unterernährung gestorben sind. Wenn wir also von Energiewende sprechen, die gerecht sein soll, müssen wir sehen, was dieser vier Jahrzehnte lange Abbau für Konsequenzen hatte, wovon auch Deutschland profitiert hat."
Diese Konsequenzen sind im aktuellen Bericht "Does Cerrejón always win?", für den auch die Menschenrechtsorganisation Oxfam verantwortlich ist, Punkt für Punkt aufgeführt: Zerstörung und Verschmutzung von Wäldern, Grundwasser und Flüssen. Vermehrt Atemwegs- und Krebserkrankungen in der Bevölkerung, wahrscheinlich durch Kohlestaub. Regelmäßige Attacken auf Aktivisten und keine angemessene Wiedergutmachung nach Zwangsräumungen wie in Chancleta.
Antwort von Glencore auf neuen Bericht über El Cerrejón
Glencore, die weltweit größte im Rohstoffhandel und Bergwerksbetrieb tätige Unternehmensgruppe, weist diese Vorwürfe zurück und verweist auf die millionenschweren Steuergelder sowie Zahlungen in die Region für soziale und Umweltinitiativen sowie die breite Verteilung von Trinkwasser. Weiter heißt es: "Glencore hat sich verpflichtet, die Menschenrechte in Übereinstimmung mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen zu respektieren. Unser Ziel ist es, die Achtung der Menschenrechte innerhalb unserer gesamten Wertschöpfungskette zu wahren und zu fördern."
Carolina Matíz von der Menschenrechtsorganisation CINEP sagt gegenüber der DW: "Was in La Guajira in Bezug auf die Menschenrechte passiert, ist vielfach dokumentiert. Wir wollen aber nicht nur das in Europa sichtbar machen, sondern auch auf die Verbindung des Kohleabbaus mit den Verletzungen der Menschenrechte und dem Finanzsektor in Europa aufmerksam machen. Glencore arbeitet in Kolumbien, wird aber von europäischen Banken und Versicherungen unterstützt."
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine importiert Deutschland verstärkt Steinkohle aus den USA, Australien und eben Kolumbien, knapp drei Millionen Tonnen waren es bislang 2023 aus dem südamerikanischen Land. Daran beteiligt: Energieunternehmen wie EnBW, Uniper, RWE und Steag. Und auch deutsche Banken und Versicherungen sind mit Anleihen, Aktien, Krediten und Garantien für Glencore an dem lukrativen Kohlegeschäft beteiligt.
"Lackmustest" für Lieferkettengesetz
Tilman Massa von dem Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre sieht gegenüber der DW vor allem die deutschen Energieunternehmen in der Pflicht, auf das in Deutschland seit dem 1.Januar 2023 gültige Lieferkettengesetz zu pochen.Unternehmen stehen demnach in der Verantwortung, Menschenrechte in den globalen Lieferketten einzuhalten, wobei der Finanzsektor noch nicht in das Gesetz einbezogen wurde. Er sagt gegenüber der DW: "Es ist im Fall von Glencore und Kolumbien ein Lackmustest, wie effektiv das Gesetz ist. Die Bundesregierung muss schauen, dass die Konzerne Sozial- und Umweltstandards einhalten. Und zwar nicht nur minimal auf dem Papier, sondern auch in der Realität."
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK antwortet auf Anfrage der DW: "Dem BMWK sind Vorwürfe gegen das Unternehmen Glencore aus der Presse und aus Gesprächen mit kolumbianischen NGOs bekannt." Weiter heißt es: "Es ist davon auszugehen, dass die deutschen Steinkohleimporte aus Kolumbien mittelfristig zurückgehen, weil Deutschland idealerweise bis 2030, spätestens jedoch bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen wird."
Zudem unterstütze das BMWK Kolumbien "beim Kohleausstieg und einer sozial gerechten Energiewende, unter anderem mit Fördermitteln und Beratungsangeboten im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative und der Mitgliedschaft beider Länder in der internationalen Powering Past Coal Alliance (PPCA)."
Kohle aus Kolumbien vereinbar mit "wertegeleiteter Außenpolitik"?
Es klingt ein wenig so, als spiele Deutschland angesichts des nahenden Kohleausstiegs auf Zeit. Und auch Glencore wird voraussichtlich nur noch bis 2034 Steinkohle aus "El Cerrejón" fördern, dann läuft die Konzession ab. Doch die kolumbianische Delegation der drei Frauen fürchtet nicht nur die Auswirkungen des Tagebaus in der nächsten Dekade, sondern auch die Jahre nach dem Tag X – dass Glencore also von einem Tag auf den anderen verschwinden könnte, ohne seiner Verantwortung für nachgewiesene Umwelt- und Gesundheitsschäden nachzukommen.
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, hält den Kohleimport aus Kolumbien schon jetzt für nicht mehr zeitgemäß. Und das nicht nur wegen des Lieferkettengesetzes, sondern auch wegen Deutschlands neuer internationaler Politik. "Zu einer wertegeleiteten Außenpolitik gehören solche Geschäfte ganz sicher nicht mehr dazu. Selbstverständlich können wir auch ohne Kohle aus Kolumbien auskommen, es gibt zahlreiche Kohleanbieter auf der Welt. Am besten dort, wo weniger Menschenrechte verletzt und die Umweltstandards höher sind."
Deutschland sei bei der ganzen Diskussion um die schmutzige Kohle aus Kolumbien auch ein Stück weit selbst schuld, so Kemfert. Der Kohleausstieg hätte längst da sein können, wenn die Energiewende nicht so lange verschleppt worden wäre. Die Energieexpertin fordert gegenüber der DW mehr Transparenz bei Geschäften wie mit Kolumbien. "Aber das gilt auch in der Zukunft für andere Bereiche wie beispielswese für grünen Wasserstoff, wo wir eine ähnliche Thematik der Nachhaltigkeit, die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards sicherstellen."