Energiewende noch auf Kurs?
18. Dezember 2012Hochspannungsleitungen hatten nie etwas Spektakuläres an sich - bis die Energiewende kam. Inzwischen lässt es sich selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nehmen, eine neue Stromtrasse zwischen Schwerin und Hamburg einzuweihen. Um 1834 Kilometer müssen allein die Übertragungsnetze, also die großen Stromautobahnen, erweitert werden, um den wachsenden Stromanteil aus erneuerbaren Energien von Norden nach Süden zu transportieren. Bis Ende 2012 werden aber nicht einmal 250 Kilometer geschafft sein. Ein Problem, das auch Merkel nicht ignorieren kann. Trotzdem verbreitet sie Optimismus: "Heute ist der Tag, an dem sich zeigt, dass sich alle Mühen gelohnt haben", so die Kanzlerin. Die neue Leitung helfe, die Netzstabilität in Deutschland zu sichern und die wachsenden Strommengen aus dem Nordosten "zu den Verbraucherzentren zu transportieren."
Wenig Freude, mehr Sorgen
Das sehen nicht alle so. Denn es holpert gewaltig in der Energiepolitik und das bereitet insbesondere der Wirtschaft zunehmend Sorgen. Deutschland hat die Industrie einen Anteil von rund 24 Prozent an der gesamten Wertschöpfung. Viele dieser Betriebe verbrauchen eine Menge Strom. Jeder zweite Industriebetrieb verbinde mit der Energiewende inzwischen einen Rückgang seiner Wettbewerbsfähigkeit, sagt der Unternehmer Hans-Heinrich Driftmann, zugleich Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Praktisch alle Unternehmen hätten 2013 eine höhere Stromrechnung als 2012 zu erwarten. "Allein für meinen Betrieb steigt die zusätzliche Belastung von 300.000 auf 450.000 Euro. Das ist eine Summe, bei der ich mir als Unternehmer Gedanken machen muss, an welchen anderen Stellen ich sparen kann."
Teure Energiewende
Rund 23 Euro kostet eine Megawattstunde Strom im weltweiten Durchschnitt. In Deutschland sind es 45 Euro. Nach Dänemark hat die Bundesrepublik inzwischen die zweithöchsten Strompreise in Europa. Die Unternehmen versuchen, die Kosten über ein strategisches betriebliches Energiemanagement zu dämpfen, wie DIHK-Präsident Driftmann sagt. "Dazu gehören der Wechsel des Stromversorgers bei Bedarf, der Abschluss langfristiger Stromverträge, der Aufbau einer Eigenerzeugung und natürlich die Steigerung der Energieeffizienz."
Bei weiter steigenden Preisen werde das allerdings nicht mehr ausreichen. Kritik gibt es inzwischen auch beim Thema Zuverlässigkeit. Noch ist Deutschland mit maximal 15 Minuten Stromausfall pro Jahr weltweit Spitzenreiter in der Versorgungssicherheit. Doch wird das so bleiben, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Dem Zementhersteller Dirk Spenner bereitet das große Sorgen. "Wir sind bei unserem Stromverbrauch nicht annähernd in der Lage, uns selbst zu helfen. Wir können nur Schadensminimierung betreiben, wenn die Anlagen runtergefahren werden. Wir haben als Kernprozess einen thermischen Prozess. Wenn wir den runterfahren müssen, dann brauchen wir aus dem kalten Zustand 72 Stunden, um den wieder hochzufahren."
Existenzielle Probleme
Der Zementhersteller Spenner gehört zu den sogenannten energieintensiven Betrieben, die von der sogenannten EEG-Umlage, mit der die Mehrkosten für erneuerbare Energien finanziert werden, befreit sind. Dabei handelt es sich vor allem um die staatlich garantierten Vergütungen für eingespeisten Öko-Strom. 2013 wird sich die Umlage auf knapp 23 Milliarden Euro summieren. Jeder Stromkunde wird pro Kilowattstunde 5,28 Cent mehr bezahlen müssen. Dirk Spenner fragt sich jedoch, wie lange die politische Entscheidung, energieintensive Betriebe von dieser Umlage auszunehmen, noch aufrechterhalten werden kann. "Wir sehen mit Sorge, wie jetzt die Privathaushalte gegen die energieintensiven Betriebe in Stellung gebracht werden. Das darf nicht sein. Wenn wir die EEG-Verschonung nicht mehr hätten, dann hätten wir ein existenzielles Problem."
Oettinger bremst Deutschland
Beistand erhält die deutsche Wirtschaft von EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Wenn Deutschland seine Industrie behalten wolle, dann müsste der Strompreis unbedingt gedeckelt werden, sagt er. Er sei schon jetzt nur noch zu 48 Prozent wirtschaftlich begründet, 52 Prozent der Preisbildung seien politisch angetrieben. Oettinger fordert aber auch eine "Geschwindigkeitsbegrenzung" bei der Energiewende. Der weitere Ausbau der Solar- und Windenergie müsse im Tempo gedrosselt und an den tatsächlichen Netzausbau und den Aufbau von Speichermöglichkeiten gekoppelt werden. Außerdem fordert der Energiekommissar von der Bundesregierung mehr Abstimmung und Kooperation mit den europäischen Nachbarn.
Deutschland müsse sich öffnen, sich europäisch einbringen mit einem europäischen Rahmen für die Förderung der erneuerbaren Energien, sagt Oettinger. Mit pragmatischen europäischen Zielen für eine Reduzierung der CO2-Emissionen und "mit den Polen, Bulgaren und Rumänen mit an Bord." Dem einstigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg wäre es lieber, "mit 500 Millionen Menschen im Team pragmatisch unterwegs zu sein, als Deutschland als Musterknabe voraus und die anderen wenden sich ab."
Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) will Oettinger komplett überarbeitet sehen. Bis zum Frühjahr will die EU-Kommission Leitlinien für eine europäische Harmonisierung der nationalen Förder-Pläne für erneuerbare Energien erarbeiten. Dann wird sich zeigen, ob die staatlich garantierten Einspeisevergütungen für den Öko-Strom weiter Bestand haben können.