Englisch wird in Deutschland immer populärer
27. August 2023Vorbei sind die Zeiten, in denen deutsche Politiker sich weigerten, englisch zu sprechen. 2009 machte der damalige Außenminister Guido Westerwelle Schlagzeilen, weil er die Bitte eines BBC-Reporters, eine Frage auf Englisch zu beantworten, zurückwies. "So wie es in Großbritannien üblich ist, dass man dort selbstverständlich englisch spricht, so ist es in Deutschland üblich, dass man hier deutsch spricht", antwortete Westerwelle.
Heutzutage sind dagegen viele Spitzenbeamte bereit, ihre Fremdsprachenkenntnisse offen zu zeigen. Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock tun dies oft, wenn sie auf Auslandsreisen sind, und Finanzminister Christian Lindner ist bei Bloomberg TV aufgetreten, um - auf Englisch - über die Lage der deutschen Wirtschaft zu debattieren.
Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach fast nie englisch, auch nicht bei ihrer Antrittsrede 2019 in Harvard oder bei einem CNN-Interview mit Christiane Amanpour. Als ihr Nachfolger Olaf Scholz beim gleichen US-Sender auftrat, tat er dies ganz selbstverständlich in seiner Zweitsprache.
Und als ihn ein britischer Journalist auf einer Pressekonferenz nach der Bundestagswahl um eine Antwort auf Englisch bat, antwortete er nicht mit einem Westerwellschen Grinsen, sondern mit Scholzscher Ernsthaftigkeit - und wirkte genauso trocken auf Englisch, wie häufig in seiner deutschen Muttersprache.
Doch heute ist es die einst von Westerwelle geführte Partei - die wirtschaftsliberale Freie Demokratische Partei (FDP) -, die auf mehr Englisch in offiziellen Staatsangelegenheiten drängt.
Wirtschaft und Justiz
Angesichts der Größe der deutschen Wirtschaft, die exportabhängig ist und große globale Unternehmen beheimatet, ist in diesem Bereich Englisch die Sprache der Wahl.
Grenzüberschreitende Handelsstreitigkeiten können zwangsläufig "häufig auftreten" und erfordern eine "schnelle und professionelle Lösung", sagte Christiane Hoffmann, die stellvertretende Sprecherin der Regierung. Deshalb hat das Kabinett Anfang August einem Gesetzentwurf von FDP-Justizminister Marco Buschmann zugestimmt, der den Ausbau der Handelsgerichte in Deutschland vorsieht, die Fälle auch in englischer Sprache bearbeiten können. Damit solle "die Attraktivität Deutschlands als Justiz- und Wirtschaftsstandort gestärkt werden", erläuterte Hoffmann.
Das erste Handelsgericht, das Angelegenheiten auf Englisch bearbeiten kann, wurde bereits 2018 in Frankfurt, der Finanzhauptstadt Deutschlands, eingerichtet. Es ist Teil einer wachsenden Zahl von Handelsgerichten in der Europäischen Union, die die Mitgliedstaaten nach dem Brexit eingerichtet haben. Nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gehören Deutschland, Frankreich und die Niederlande zu denjenigen Ländern, die sich als Alternative zum britischen Rechtssystem anbieten wollen.
Doch dieser Übergang könne Jahre dauern, sagt Michael Weigel, Wirtschaftsanwalt und Mitglied der Bundesrechtsanwaltskammer, der DW. Denn es gebe viele ältere Juristen an den deutschen Gerichten, deren Fachenglisch begrenzt sei. "Wie bei jeder Spezialisierung brauchen die Menschen die Zeit, sich diese Fähigkeiten anzueignen", sagte Weigel. Und das koste auch Geld.
Englische Sprache im öffentlichen Dienst
Diese Skepsis zeigt sich auch in anderen Bereichen, die einer Anglisierung ausgesetzt sind. Im vergangenen Jahr hatte die FDP angekündigt, sie wolle Englisch als offizielle Zweitsprache in der öffentlichen Verwaltung einführen. Das deutsche Gesetzbuch sieht jedoch Deutsch als alleinige Amtssprache vor: Anträge und Unterlagen, die bei einer Behörde in einer Fremdsprache eingereicht werden, müssen mit einer Übersetzung versehen sein. Zudem müsste die offizielle Aufnahme von Englisch als zweite Amtssprache von Bund und Ländern genehmigt werden - bisher befürwortet jedoch nur die FDP eine solche Änderung.
Offen für englischsprachige Bewerber sein
Das kürzlich verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll Ausländern die Arbeitssuche in Deutschland erleichtern und unter anderem eine schnellere Anerkennung ausländischer Qualifikationen ermöglichen. Von den Unternehmen werde erwartet, "dass sie offen für englischsprachige Bewerber sind", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im Februar 2023 in Zeitungsinterviews. "Dann können Sie auch von unseren Behörden und Verwaltungen erwarten, dass sie diesen Menschen einen umfassenden Service auf Englisch bieten können."
Ulrich Silberbach, der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (DBB), hält dagegen, dass in Regierungsbüros bereits häufig englisch gesprochen werde. "Sprachkompetenz in der Verwaltung ist in erster Linie eine Frage des Geldes", sagte er der Boulevardzeitung Bild und fügte hinzu, dass viele Kunden französisch, arabisch oder farsi statt englisch sprächen. "Wir brauchen Schulungen, Übersetzungstools und Sprachmittler, aber das sind alles Investitionen in Personal", sagte er. "Eine pauschale Englischpflicht hilft uns nicht", so Silberbach.
Englisch im Alltag und im Bildungssystem
Seit 2005 wird an allen deutschen Grundschulen Englisch unterrichtet, mit Ausnahme der französischen Grenzregionen. Laut des Deutschen Akademischen Austauschdienstes werden mittlerweile rund zehn Prozent der Hochschulstudiengänge in Deutschland auf Englisch angeboten. Bei den meisten davon handelt es sich um Graduiertenprogramme, und darin erfasst sind auch private Einrichtungen, die außerhalb des öffentlichen, gebührenfreien Systems operieren.
Deutschland hat bei der Expat Insider-Umfrage 2023 eines in München ansässigen Netzwerks schlecht abgeschnitten, obwohl es hier eine große Expat-Gemeinschaft gibt. Für viele war dabei die Sprache ein entscheidender Faktor.
Eine Ausnahme ist da vielleicht Berlin: 2017 beklagte sich der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn darüber, dass man in der Hauptstadt nicht allein mit Deutsch durchkommen könne: "Es stört mich, dass in manchen Berliner Restaurants die Kellnerinnen nur englisch sprechen. Das würde mir in Paris sicher nicht passieren", sagte er.
Tatsächlich ist es für junge Expats völlig in Ordnung, ohne Deutschkenntnisse in angesagten Geschäften oder Restaurants zu arbeiten, während ihren geflüchteten Eltern trotz guter Englischkenntnisse der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verwehrt bleibt, weil sie nicht gut genug deutsch sprechen. Mit der Modernisierung der Einwanderungsgesetze dürfte sich dies nun ändern.
Adaptiert aus dem Englischen von Sabine Faber.