Enteignungsdebatte schlägt hohe Wellen
8. April 2019Wohnen sei ein Menschenrecht und keine Ware für "Spekulanten", argumentiert die Initiative, die sich von einer "Vergesellschaftung" von Wohnungen bezahlbare Mieten auf Dauer für alle erhofft. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern "Deutsche Wohnen" ab, der allein in der Hauptstadt rund 112.000 Wohnungen besitzt und wegen seines Umgangs mit Mietern häufig in der Kritik steht.
Die Initiatoren des Berliner Volksbegehrens, das in mehreren Stufen abläuft und sich Jahre hinziehen kann, berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu.
"Reine Rendite"
Scharfen Widerspruch anderer Parteien erntete der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck. Er hatte der Zeitung "Welt am Sonntag" gesagt, sich Enteignungen "notfalls" vorstellen zu können. Das Grundproblem sei, dass große Wohnungsbestände zum Spekulationsobjekt geworden seien, so Habeck weiter. "Hungrige Immobilienfonds handeln nur mit Blick auf reine Rendite."
"Enteignungen sind nun wirklich sozialistische Ideen und haben mit bürgerlicher Politik nichts zu tun", entgegnete Markus Söder, der Chef der konservativen CSU. Wer das Eigentum nicht mehr respektiere, "ändert unsere Gesellschaft von Grund auf", sagte der bayerische Ministerpräsident dem "Münchner Merkur". Gegen Enteignungen hatte sich zuvor auch schon die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer positioniert.
Christian Lindner, der Chef der liberalen FDP, betonte: "Mit Enteignungen wird nicht eine einzige neue Wohnung geschaffen." Es würden nur private Investoren verschreckt, die neue Wohnungen bauen könnten. Und die Fraktionsvorsitzende der rechtsgerichteten AfD, Alice Weidel, meinte, die Grünen seien offenbar "gerade auf dem Weg von der Verbotspartei in den Betonkommunismus".
"Notwehrrecht"
Keine einheitliche Position fanden bisher die Sozialdemokraten: Sie verstehe "die Wut auf Wohnungskonzerne, die jeden Cent aus den Mietern rauspressen wollen", hatte SPD-Chefin Andrea Nahles der "Bild am Sonntag" gesagt. Statt Enteignungen wolle ihre Partei aber einen Mietenstopp. Nahles' Stellvertreter Ralf Stegner verteidigte Enteignungen hingegen als "Notwehrrecht gegen Marktradikalismus für (einen) handlungsfähigen Staat".
Linken-Chefin Katja Kipping ging deutlich weiter: Sie wolle Immobilienkonzerne nicht nur enteignen, sondern setze im Zweifel auch auf Beschlagnahmungen, wurde Kipping von Teilnehmern einer Parteivorstandssitzung in Berlin zitiert.
Bundesweit waren am Samstag zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um für bezahlbaren Wohnraum zu demostrieren. In Berlin zählte die Polizei "weit über 10.000", die Veranstalter sprachen von rund 40.000. Ähnliche Protestaktionen gab es laut Aktionsbündnis "#Mietenwahnsinn" in 19 Städten, darunter München, Köln und Frankfurt am Main.
wa/hk (afp, dpa)