Enthüllungspresse im Vatikan unerwünscht
22. November 2015Ein Jahr, bevor er zum Papst gewählt wurde, gab Jorge Bergoglio ein Interview zu den internen Vorgängen im Vatikan. Die Kurie war gerade in Aufruhr: Papst Benedikts Butler hatte Dokumente weitergegeben, die Korruption und Gier im Vatikan offenlegten. Aber anstatt auf diese Vorwürfe einzugehen, kritisierte der spätere Papst Franziskus die Presse: "Manchmal kommt es zu negativen Schlagzeilen, aber vieles ist übertrieben und manipuliert, um Skandale heraufzubeschwören."
Kaum war er zum Papst gewählt, stieß er ein Gesetz an, dass de facto die Pressefreiheit einschränkt, wenn Journalisten aufdecken, was im Vatikan hinter verschlossenen Türen geschieht. Diesem Gesetz zufolge ist es ein Verbrechen, sich "auf illegale Weise" Dokumente zu beschaffen oder sie zu veröffentlichen. Die Strafe: sechs Monate bis zwei Jahre Gefängnis. Wenn die Dokumente "von fundamentaler Bedeutung" für den Vatikan sind, droht sogar eine Strafe zwischen vier und acht Jahren Gefängnis. Kritiker nennen das Gesetz rückschrittlich.
Anklage gegen Journalisten
Diesen Monat hat der Vatikan das Gesetz zum ersten Mal angewendet. Es wird gegen zwei Personen ermittelt, die geheime Dokumente gestohlen haben sollen: gegen einen spanischen Priester, der zurzeit im Vatikan im Gefängnis sitzt, und eine italienische PR-Beauftragte.
Im Fokus der Ermittlungen stehen außerdem zwei Journalisten, die sich auf die geheimen Informationen bezogen haben: Emiliano Fittipaldi beschreibt in seinem Buch "Avarice" unter anderem, wie hunderttausende Euro Spendengelder für die Armen dieser Welt auf schwarzen Konten des Vatikans gelandet sind. Und Gianluigi Nuzzi legt in seinem Buch "Alles muss ans Licht" offen, wie groß der Widerstand im Vatikan gegen Papst Franziskus' Reformen ist und dass dort Missmanagement und chaotische Buchführung herrschen. Hierbei bezieht er sich auf geheime Information aus der Kommission für Finanzreformen.
Auslieferung unwahrscheinlich
Beide Journalisten wurden vom Vatikan zur Befragung vorgeladen. Nuzzi ignorierte die Vorladung, weil der Vatikan ihm nicht das Recht garantiere, Artikel zu veröffentlichen und seine Quellen geheimzuhalten. Er beschuldigte Papst Franziskus, einer inquisitionsähnlichen Untersuchung vorzustehen.
Emiliano Fittipaldi hingegen folgte der Vorladung. Er sei neugierig gewesen, was ihm vorgeworfen werde, so der Journalist. Die Ankläger hätten ihm gesagt, dass ihm die härteste Strafe - bis zu acht Jahren Gefängnis - drohe, wenn das Vatikan-Gericht ihn für schuldig befinde. Fittipaldi gibt an, sich daraufhin geweigert zu haben, die Fragen des Vatikans zu beantworten. Er glaubt indes, dass die Ankläger den Fall nicht weiter verfolgen werden, weil Italien ja Pressefreiheit garantiert und eine Auslieferung damit sehr unwahrscheinlich ist.
Keine große Reformbereitschaft
"Alles, was ich im Buch beschreibe, ist nur eine detailierte Auflistung dessen, was Franziskus der Öffentlichkeit bereits gesagt hat", sagt Fittipaldi. So habe der Papst beispielsweise in einer im Dezember 2014 gesagt, einige Vatikanmitarbeiter müssten von "spirituellem Alzheimer" geheilt werden. "Die Dinge, über die ich geschrieben habe, hat er schon verurteilt, und das sogar noch härter", so Fittipaldi.
Der Papst zeigt allerdings wenig Verständnis. Er nannte die Veröffentlichung der Dokumente ein "beklagenswertes Verbrechen". Gleichzeitig versprach er aber, dass die Kontroverse ihn nicht davon abhalten werde, Reformen in der Kurie anzuschieben.
Bald noch weitere Enthüllungen?
Das dürfte schwierig werden, befürchten Experten wie Francesco Peloso, der ein Buch über die Vatikan-Bank veröffentlicht hat. Der Widerstand in der Vatikan-Hierarchie gegen Reformen sei nicht zu unterschätzen, betont er.
"Die Kurie wurde von außen zu Reformen gezwungen, um die Finanzierung und Kontoführung transparenter zu machen." Er rechnet mit weiteren Konflikten und vielleicht auch mit neuen Enthüllungen über Misswirtschaft, die aus dem Vatikan selbst kommen.
Shopping in London statt Armenhilfe
Während die Kurie gegen Nuzzi und Fittipaldi ermittelt, hat die italienische Polizei einen ehemaligen Kirchenoberen im Blick: einen ehemaligen Abt der Abtei Montecassino, der laut Vatikan vor drei Jahren aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten ist. Vatikan-Experten glauben, dass man so in Wirklichkeit ein Korruptionsskandal unter den Teppich kehren wollte. Die italienische Polizei vermutet nämlich, dass der Abt und sein Bruder mehr als 500.000 Euro gestohlen haben.
Italiener hatten geglaubt, das Geld gehe an eine katholische Wohltätigkeitsorganisation. Stattdessen sollen der Abt und sein Bruder das Geld für Luxushotels, Reisen nach Brasilien und Shopping-Touren in London ausgegeben haben.
Fittipaldi sagt, der Versuch des Papstes, Journalisten daran zu hindern derartige Skandale aufzudecken, werde die grundlegenden Probleme im Vatikan nicht lösen. Das könnten nur Reformen. Aber Fittipaldi hat während seiner Recherche auch festgestellt, wie isoliert Papst Franziskus mit seinem Reformdrang tatsächlich ist.