"Entscheidend für die Zukunft von VW"
10. Oktober 2015Nach der Anhörung von Volkswagens US-Chef Michael Horn in Washington zeichnet sich weiteres Ungemach für die Firma ab: Wie Horn einräumte, ist in den neuesten Dieselmodellen eine weitere Software verbaut, die den Behörden bislang nicht bekannt war. Noch ist unklar, ob auch diese zur Manipulation von Abgastests diente. Clarence Ditlow, Vorsitzender der Verbraucherschutzorganisation Center for Auto Safety, spricht mit der Deutschen Welle über die aktuelle Situation und darüber, was Volkswagen in den USA noch erwarten wird.
Deutsche Welle: Die us-amerikanische Volkswagen-Tochter hat eingeräumt, dass in der Dieselflotte für das kommende Jahr noch eine Software zur Abgaskontrolle eingebaut ist. Wie ernst ist diese neue Entwicklung?
Clarence Ditlow: Im Antrag auf Zertifizierung eines neuen Autos muss ein solches Gerät aufgelistet sein. Wenn das der Fall ist, prüft die US-Umweltschutzbehörde EPA, ob es sich um ein „defeat device“ handelt, um illegale Software zur Umgehung der Abgastests - oder ob es ein zulässiges Kontrollgerät ist. Das ist also schon deshalb ernst zu nehmen, weil VW das Gerät zunächst verschwiegen hat. Dafür werden sie sicher eine Strafe bekommen. Sollte die EPA dann feststellen, dass es sich ebenfalls um ein "defeat device" handelt, dann kommt VW in noch größere Turbulenzen.
"Von ganz vorne beginnen"
VW hat den Zulassungsprozess für die 2016er-Dieselmodelle in den USA gestoppt. Was bedeutet dies für den VW-Konzern in Amerika?
Einfach gesagt: Sie können erst mal keine Dieselautos verkaufen. 1973 hat Ford bei den Abgasuntersuchungen betrogen. Die EPA hat damals eine Neuzertifizierung aller Autos eingefordert. Es kann passieren, dass Volkswagen den Prozess der Prüfung und Zertifizierung von ganz vorne beginnen muss. Das würde den Verkauf der Dieselmodelle für 2016 um mindestens zwei Monate verzögern.
Zusätzlich müssen nun wohl fast 500.000 Fahrzeuge in den USA zurückgerufen werden - und die meisten davon werden mehr brauchen als ein Software-Update. Wie lange wird das dauern?
Zunächst muss VW für die Maßnahmen die Zustimmung der Behörden einholen. Das wird wohl bald geschehen. Anschließend müssen alle Autos in die Werkstatt. Volkswagen schätzt für jedes einzelne Auto eine Arbeitszeit von fünf bis zehn Stunden. In den Vereinigten Staaten fallen durchschnittlich 120 Dollar Arbeitskosten pro Stunde an, das macht allein 600 bis 1200 Dollar für die Reparatur. Bei mehr als 400.000 betroffenen Wagen summiert sich das auf mehrere hundert Millionen Dollar. Dabei stellt sich die Frage: Wie viele Autobesitzer werden überhaupt an der Rückrufaktion teilnehmen?
Nach Angaben von VW wird es mindestens ein bis zwei Jahre dauern, bis die Probleme behoben sind. Müssen die Autobesitzer nun einfach Geduld aufbringen? Und was würden Sie empfehlen?
Die EPA sagt, die Autos seien gefahrlos zu fahren. Wir würden empfehlen, den Rückruf wahrzunehmen. Es gibt zwei Sorten von Käufern. Die erste sind solche, die große Rücksicht auf die Umwelt nehmen. Sie werden sich hintergangen fühlen und vermutlich ihr Geld zurück haben wollen, um ein anderes, umweltfreundliches Auto zu kaufen. Autofahrer in der anderen Gruppe schätzen die Leistung des Autos. Sie werden das Problem beheben lassen, solange sich dies nicht negativ auf die Leistung auswirkt. Die interessante Frage wird sein, wie viele sich auf die Reparatur einlassen und zunächst weiter ihr Auto nutzen, und wie viele ihr Auto ersetzt haben wollen.
VW hat bisher keine Absicht zu erkennen gegeben, die Autos zurückzukaufen - was natürlich auch extrem kostspielig wäre. Auf welche Weise sollten die Kunden entschädigt werden?
Hier wird es ab einem bestimmten Punkt um Sammelklagen gehen. Am Ende könnten Gerichtsurteile VW zum Rückkauf der Autos zwingen. Wenn die Rückrufaktion erst mal läuft, wird man sehen, wie viele Kunden so verärgert sind, dass sie ein neues Auto einfordern.
Hat es solche Fälle in der Vergangenheit gegeben?
General Motors hat mal einen Pickup-Truck verkauft, der zwei Airbags haben sollte, tatsächlich aber nur einen hatte. Die meisten Kunden haben dann den Rückkauf in Anspruch genommen. Aber dabei ging es um ungefähr ein Zehntel der Autos verglichen mit Volkswagen. Ähnlich Chrysler, das einen Van baute, der statt der versprochenen 1800 Kilo nur 900 ziehen konnte. Das wurde seinerzeit alles von Gerichten entschieden - aber einen Fall in der Größenordnung von VW hat es noch nicht gegeben.
Was ist mit den Händlern? Als erste Maßnahme hat die Volkswagen-Tochter in den USA einen Fonds zur Verfügung gestellt, aus dem die Händler bestimmte Summen nach eigenem Ermessen einsetzen können. Reicht das aus?
In keinem Fall sonst hat Volkswagen so korrekt gehandelt wie im Fall der Händler. Angenommen, ein treuer VW-Kunde kommt wütend ins Geschäft, dann kann der Händler ihm anbieten, dass er den Wagen zurücknimmt und 2000 US-Dollar Rabatt auf einen anderen Wagen gibt. Das ist eine indirekte Reaktion auf die Forderungen nach Rückkauf.
Vergangenes Jahr musste Toyota eine Rekordstrafe von 1,2 Milliarden Dollar zahlen für klemmende Gaspedale; General Motors war mit 900 Millionen Dollar dran, weil sie über Jahre Probleme mit den Zündschlössern verheimlicht hatten. Was kommt auf Volkswagen zu?
In beiden Fällen haben die Behörden, die mit der Fahrsicherheit befasst waren, die Höchststrafen verhängt. Nimmt man die 37.500 US-Dollar, die die EPA maximal als Strafe pro Auto verlangen kann, und multipliziert dies mit der Anzahl der betroffenen Wagen, dann landet man bei mehr als 18 Milliarden Dollar.
Ist das eine realistische Summe?
So viel wird es nicht sein. Die EPA hat das in der Vergangenheit nicht ausgereizt. Die Liste an Betrügereien in der Autoindustrie ist lang, nur hat Volkswagen das Ganze in eine neue Dimension gebracht. Möglicherweise werden es 5 Milliarden Dollar werden. Ich erwarte, dass sich dies in den nächsten drei Monaten entscheiden wird.
Unklar ist, wie heftig es das Unternehmen finanziell insgesamt treffen wird. Verlieren sie so viel Geld, dass dies die Entwicklung neuer Automodelle verzögert, dann haben sie ein Problem. Die wirtschaftlichen Nachwirkungen werden entscheidend sein für die Zukunft von Volkswagen.
Das Gespräch führte Stefan Reccius.