NS-Opfer: Deutschland verklagt Italien
30. April 2022Deutschland hat Italien in der Auseinandersetzung um Entschädigungszahlungen wegen Nazi-Verbrechen verklagt. Die Bundesregierung reichte die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag ein, wie das Organ der Vereinten Nationen mitteilte. Die Bundesregierung werfe italienischen Gerichten vor, mehr als 25 neue Verfahren gegen Deutschland zugelassen zu haben, obwohl der IGH bereits 2012 geurteilt hatte, dass Deutschland italienische Militärinternierte und andere NS-Opfer nicht individuell entschädigen müsse. Das Gericht untermauerte damit den Rechtsgrundsatz der Staatenimmunität, wonach die von Privatklägern in Italien erstrittenen Urteile unwirksam sind.
Italien lässt individuelle Klagen zu
Die Bundesregierung bezieht sich bei ihrer Klage insbesondere auf ein Urteil des italienischen Verfassungsgerichts von 2014, das "individuelle Klagen von Opfern von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen souveräne Staaten" zulässt. Dieses Urteil sei "in bewusster Verletzung des Völkerrechts und der Pflicht Italiens ergangen, einem Urteil des wichtigsten Rechtsorgans der Vereinten Nationen nachzukommen", heißt es in der Klageschrift.
Deutschland geht diesen Schritt, weil ihm die Zwangsversteigerung von Immobilien in Rom droht, nachdem es Urteile nicht umgesetzt hat. In diesen war die Bundesrepublik zur Zahlung von Einzel-Wiedergutmachungen verurteilt worden. Um die Versteigerung zu verhindern, hat sie vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Betroffen sind der Klageschrift zufolge die Gebäude des Goethe Instituts, der Deutschen Schule, des Deutschen Archäologischen Instituts und des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Das zuständige Gericht in der italienischen Hauptstadt will darüber voraussichtlich am 25. Mai entscheiden. Deutschland hatte den Haager Gerichtshof schon einmal 2008 angerufen, um zu prüfen, ob früher in Italien gefällte Urteile auf Entschädigung rechtens sind.
Zeit von 1943 bis 1945 im Mittelpunkt
Deutsche Truppen hatten Italien von September 1943 bis Mai 1945 besetzt, nachdem sich das Land im Zweiten Weltkrieg den Alliierten angeschlossen hatte. Bei ihrem Rückzug wüteten die deutsche Wehrmacht und die SS an vielen Orten, dabei wurden auch viele Italiener ermordet - wie etwa beim Massaker von Marzabotto. Die in Italien gefällten Urteile bezogen sich auf Entschädigungszahlungen für diese Zeit.
Deutschland verweist auch im Rechtsstreit mit anderen Staaten wegen der NS-Verbrechen stets darauf, dass über bilaterale Abkommen mit betroffenen Ländern bereits Milliarden Euro an Entschädigungszahlungen geleistet worden seien. Deshalb seien individuelle Klagen nicht zulässig.
Der IGH in Den Haag wurde 1946 gegründet, um Streitigkeiten zwischen Staaten zu schlichten. Seine Urteile sind bindend und können nicht angefochten werden. Allerdings stehen dem UN-Gericht keine Instrumente zur Verfügung, um eine Umsetzung seiner Urteile durchzusetzen.
sti/qu (afp, dpa, rtr)