Entsetzen in Israel
7. Juli 2014"Scham, das war das Gefühl am Sonntagabend, als die Identität der Mörder des Jungen Mohammed Abu Khdeir klar wurde", schreibt eine Kolumnistin in der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth am Montag. "Es ist eine immense Scham darüber, dass so etwas unter uns passiert ist, wo wir doch so sicher waren, dass dies nicht unter uns passieren kann und dass nur Araber so grausam sein können."
Die Nachricht von der Festnahme von sechs jungen Israelis schockiert und entsetzt das Land. Noch unterliegen Einzelheiten der Ermittlungen der Zensur. Drei von ihnen sollen nach Medienberichten gestanden haben, den 16-Jährigen Palästinenser Mohammed Abu Khdeir grausam ermordet zu haben. Nach ersten Autopsieberichten sei der junge Palästinenser bei lebendigem Leib von seinen Mördern verbrannt worden, hatte der palästinensische Generalstaatsanwalt über das Wochenende mitgeteilt.
Selbstbild in Frage gestellt
Auf politischer Ebene zieht sich die Verurteilung des Mordes durch alle Lager. Mittlerweile wird die Tat auch in Israel als Racheakt für den Mord von drei israelischen Teenagern gesehen. Eyal Ifrach, Gilad Shaar und Naftali Frenkel waren vor drei Wochen nahe einer Siedlung entführt und vergangenen Montag (30.06.2014) im Westjordanland ermordet aufgefunden worden waren. Die israelische Regierung macht die Hamas dafür verantwortlich - die wiederum hat sich dazu allerdings nicht bekannt. Seitdem ist die Stimmung im Land mehr als aufgeheizt.
Der Mord an dem jungen Palästinenser und die Verhaftung der mutmaßlichen israelischen Täter habe das Selbstbild vieler Israelis in Frage gestellt. Hetze und Rassismus sei auch auf israelischer Seite zu finden, warnt ein Kommentator der israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Das Konzept der moralischen Überlegenheit, dass nur "die Palästinenser sonst die diejenigen seien, die das Töten von Kindern glorifizieren und nach Selbstmordattentaten Süßigkeiten verteilen", müssten viele wohl jetzt überdenken.
Spannungen in der Gesellschaft
Noch am Wochenende hatten sich vor der Residenz von Premierminister Netanjahu wieder dutzende rechte Demonstranten versammelt. Israelische Sicherheitskräfte schauten zu, während einige Demonstranten als Hamas-Kämpfer verkleidet vor den TV-Kameras posierten, in der Hand Bilder der drei ermordeten israelischen Teenager. "Es ist beschämend was in Israel vor sich geht", sagte Moshe, der seinen vollen Namen nicht nennen will. "Drei jüdische Teenager wurden entführt und ermordet, und die israelische Regierung tut nichts. Alles dreht sich nur um diesen toten Palästinenser. Diese Araber kennen keine Grenzen. Sie töten unsere Kinder und wir stehen da und machen nichts. Das ist absolut beschämend." Der junge Mann redete sich regelrecht in Rage. Er ist Mitglied einer ultra-rechten Gruppe, die jegliche Koexistenz mit Arabern ablehnt.
"Wir sind hier weil die Regierung nicht handelt. Wir wollen die Todesstrafe für diese Terroristen", sagte auch Ron Kaufman und schwenkt dabei eine große Israel-Flagge. "Jeden Tag schlagen 30 Raketen aus Gaza in Israel ein. Ich würde gerne sehen, wenn Kanada eine Rakete auf die USA abfeuert - Kanada würde es dann nicht mehr geben." Gaza, so die Protestler, müsse man hart angreifen und die Hamas zerstören.
Ganz andere Stimmen waren nur wenigen Straßen weiter zu hören. Auf dem Zionsplatz im Stadtzentrum, demonstrierten rund 40 Leute - gegen die Gewalt und Eskalation. "Die Gewalt in Jerusalem ist zu viel geworden. Es muss jemand hier im Zentrum der Stadt stehen, damit auch die Stimme der normalen Leute gehört wird, die gegen Gewalt und Hass sind", sagte Oron Elior von der Organisation "Combatants for Peace". Die "Kämpfer für den Frieden" setzen sich seit vielen Jahren für die Koexistenz zwischen Palästinensern und Israelis ein. "Man darf in einer solchen Situation nicht passiv sein. Wenn die Leute gleichgültig bleiben, wird sich nie etwas ändern", sagte er. Im Vakuum der abgebrochenen Friedensgespräche könne die Situation noch einfacher eskalieren, meinten viele bei der Demonstration. "Mich überrascht der Gewaltexzess nicht", sagte etwa Amir Khalash. "Die Gewalt geht vom Staat, von der Besatzung aus. Man darf ja auch nicht vergessen, wie viele Palästinenser schon vorher während der Militäroperation im Westjordanland getötet wurden."
Tiefe Gräben zwischen den Völkern
Wiederum wenige hundert Meter vom Zionsplatz entfernt, verfolgt Matan Israeli die Nachrichten. Der junge Künstler lebt in Westjerusalem und arbeitet sonst mit palästinensischen Künstlern an gemeinsamen Kunstaktionen. "Brücken" bauen nennt er das - zwischen dem mehrheitlich arabischen Ostjerusalem und dem jüdischen Westjerusalem. Das ist schon in weniger angespannten Zeiten nicht einfach. Nach den Vorfällen der vergangenen Wochen erkenne er sein Land kaum mehr wieder.
"Mir macht das Angst. Es war erschreckend, hier im Westen durch die Straßen zu gehen und diese marschierenden Leute zu sehen, all den Hass und die ganze Eskalation", sagt er. Pläne, auch in diesem Sommer ein gemeinsames Kunstprojekt für Palästinenser und Israelis in seinem Viertel zu machen, liegen jetzt erst mal auf Eis. "Es wäre eine Katastrophe, da jetzt etwas zu machen. Wir würden so tun, als ob es Koexistenz gäbe. Die Realität sieht leider anders aus", sagt der junge Mann. "Nun ist so ein tiefer Graben zwischen den beiden Seiten entstanden, es wird Jahre brauchen, um das wenige Vertrauen wieder aufzubauen."