Epidemien in der Literatur
Infektionskrankheiten sind nicht erst seit Corona in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Bereits bei Autoren wie Boccaccio, Defoe oder Camus tauchen sie auf. Wir stellen ihre Romane vor.
Giovanni Boccaccio: Das Dekameron (1349-1353)
Sieben Frauen und drei Männer fliehen vor der Pest in ein Landhaus nahe Florenz. So grausam zu Anfang die Schilderungen sind, so unterhaltsam sind die folgenden 100 Novellen. Um sich die Zeit zu vertreiben, bestimmt jeder der Geflohenen für einen Tag ein Thema, zu dem jeder eine Geschichte zum Besten geben muss. Fein oder derb, tragisch oder komisch - es entfaltet sich ein ganzes Welttheater.
Thomas Morus: Utopia (1516)
Auf einer fernen Insel entdeckt ein Seefahrer Utopia, eine ideale Gesellschaft. Unter den Bewohnern herrscht Gleichheit, die Gesellschaft ist demokratisch und der Besitz gemeinschaftlich. Sprich: Der Gegenentwurf zum damaligen England. Und damit auch frei von Seuchen. Schließlich suchte die Pest England mehrfach heim. Hier sind übrigens "Utopier" der Dresdner Semperoper zu sehen, frei nach Morus.
Francis Bacon: Neu-Atlantis (1627)
Bacons utopische Insel heißt Bensalem, auf der die Bewohner des untergegangenen Atlantis leben sollen. Sie zeichnet vor allem Forscherdrang und Wissenschaftsliebe aus. Auf "Neu-Atlantis" werden gar einige Erfindungen vorweggenommen wie das U-Boot, Windkraftanlagen oder Hörgeräte. Dazu gehört übrigens auch, dass die fremden Seefahrer erstmal in Quarantäne müssen - aus Schutz vor Krankheiten.
Daniel Defoe: Die Pest zu London (1722)
In einer Mischung aus schriftlichen Quellen, Augenzeugenbericht und Roman beschreibt Daniel Defoe die Ereignisse während der Großen Pest in London. Er selbst war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt und wurde damals zur Sicherheit aufs Land gebracht. Defoe beschreibt eine Stadt im Ausnahmezustand: Hysterie, Aberglaube, Arbeitslosigkeit, Plündereien und Betrug bringt die Ausnahmesituation hervor.
Albert Camus: Die Pest (1947)
In Camus "Die Pest" schildert die Hauptfigur, Arzt Bernard Rieux, wie zunächst nur einige Ratten, dann jedoch viele Tausende Bürger der algerischen Hafenstadt Oran an der Pest sterben. Jeder nimmt den Kampf gegen den Schwarzen Tod anders in Angriff - am Ende trifft es jedoch jeden: sowohl unschuldige Kinder als auch skrupellose Menschen.
Andrzej Szczypiorski: Eine Messe für die Stadt Arras (1971)
Basierend auf historischen Ereignissen schildert dieser Roman, wie Bürger an der Pest verzweifeln, dem religiösen Fanatismus verfallen und jegliche Moral verlieren. Szczypiorski selbst überlebte den Überfall auf Polen im Zweiten Weltkrieg, den Warschauer Aufstand und das KZ Sachsenhausen. Auch wenn nicht explizit darauf hingewiesen, scheinen seine Erlebnisse das Buch geprägt zu haben.
Stephen King: The Stand - Das letzte Gefecht (1978)
Ein mutiertes Virus bricht aus einem Militärforschungslabor aus und tötet fast die komplette US-amerikanische Bevölkerung. Nur einige wenige sind dagegen immun - und müssen sich in einer entvölkerten Welt mit zusammengebrochener Infrastruktur behaupten. Es entstehen zwei Enklaven rund um charismatische Führer, die sich grob in "gut" und "böse" aufteilen - und bei einem Showdown aufeinandertreffen.
José Saramago: Die Stadt der Blinden (1995)
Urplötzlich erblinden die Bewohner einer nicht namentlich genannten Stadt. Aus Angst vor Ansteckung werden sie in eine leer stehende Psychiatrie verfrachtet, versorgt von einem Arzt und dessen Frau, hier gespielt von Mark Ruffalo und Julianne Moore in der gleichnamigen Verfilmung (2008). Die Lage eskaliert schnell, doch im größten Chaos erlangen die ersten wieder ihr Augenlicht zurück.
Philip Roth: Nemesis (2010)
Der Roman spielt zur Zeit einer Polioepidemie im Sommer 1944 in Newark, New Jersey. Roth beschreibt die Angst, die mangelhafte Informationspolitik und das Gefühl der Machtlosigkeit in der Bevölkerung angesichts der grassierenden Kinderlähmung. Der erste Impfstoff stand erst 1955 zur Verfügung.