Erdogan-Besuch polarisiert
24. Mai 2014Selten sorgt der Besuch eines ausländischen Regierungschefs für so viel Furore: Bis zu 30.000 Erdogan-Anhänger werden in einer Kölner Arena erwartet, dazu eben so viele Gegendemonstranten, die in der nordrhein-westfälischen Metropole protestieren wollen. Auch deutsche Politiker haben sich im Vorfeld kritisch dazu geäußert. Offizieller Anlass der Veranstaltung am Samstag (24.05.2014) ist das zehnjährige Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die als Lobby-Organisation von Erdogans AK-Partei gilt.
Kritiker werfen dem türkischen Premier vor, mit seiner Rede an seine Landsleute Wahlkampf zu betreiben und dabei einen Konflikt zwischen türkischstämmigen Bürgern in Deutschland weiter anzuheizen. "Erdogan möchte unter den Türkeistämmigen hier natürlich polarisieren. Und wir möchten am Samstag ein Zeichen setzen, dass wir ihn hier in Deutschland nicht haben möchten", sagt Yilmaz Kahraman, Sprecher der Alevitischen Gemeinde in Deutschland, die die Gegendemonstration organisiert. "Ich sehe den Besuch Erdogans als sehr problematisch an: Denn damit bieten wir einem Menschen eine Plattform, der die Demokratie in seinem Land mit Füßen tritt", sagt die prominente SPD-Politikerin Lale Akgün, die ebenfalls türkische Wurzeln hat.
Erstmals dürfen die Auslandstürken mitwählen
Der innertürkische Konflikt, der Streit zwischen Erdogan-Anhängern und Erdogan-Gegnern, wird längst auch in Deutschland ausgetragen. Ereignisse wie die Gezi-Park-Proteste im vergangenen Jahr in Istanbul oder das Unglück in der Kohlemine in der westtürkischen Stadt Soma, bei dem mehr als 300 Bergleute ums Leben kamen, verschärfen die Konfliktlinien sowohl in der Türkei als auch in Deutschland. "Ich fände es angebracht, wenn Erdogan an der Aufklärung des Grubenunglücks mitwirken würde, statt in Deutschland auf Wahlkampftour zu gehen", sagte der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) im Vorfeld des Besuchs.
Die Präsidentenwahl in der Türkei, die Anfang August stattfindet, ist in doppelter Hinsicht ein Novum: Erstmals wird das Staatsoberhaupt direkt von der Bevölkerung gewählt, und zum ersten Mal dürfen türkische Staatsbürger mitwählen, die im Ausland wohnen. Schätzungsweise fünf Millionen Türken leben in der Diaspora, der größte Teil von ihnen in Deutschland. Eine Wahlkampftour in der Bundesrepublik dürfte sich für den mutmaßlichen Präsidentschaftskandidaten Erdogan also lohnen, wenn nicht sogar entscheidend für den Wahlausgang sein.
Weiterhin Zuspruch bei der Bevölkerung?
Sowohl innerhalb der Türkei als auch in Deutschland hat der türkische Ministerpräsident seine Anhänger vorwiegend im religiös-konservativen Lager. Vor allem die ländliche Bevölkerung steht hinter dem seit Jahren praktizierten Islamisierungskurs Erdogans. Doch das könnte sich bald ändern. "Soma ist ein Meilenstein. Denn dadurch ist klar geworden, dass es Erdogan gar nicht um den Islam oder die Menschlichkeit geht, sondern um seine neoliberale Wirtschaftspolitik", sagt die Sozialdemokratin Akgün. Diese Politik, die die Ausbeutung der Arbeiter und die Vernachlässigung der Arbeitnehmerrechte beinhalte, richte sich jedoch vor allem gegen jene, die zu seinen Stammwählern gehören. Das sei durch das Unglück in Soma nun erstmals sichtbar geworden. Selbst innerhalb der Regierungspartei AKP gibt es Unmut über den Umgang des Premiers mit dem Grubenunglück: Auch sie finden es befremdlich, dass der Staatschef auf Wahlkampftour ins Ausland reist, statt sich um Aufklärung und Hinterbliebene zu kümmern. Die Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen.
Islam-Verbände sympathisieren mit Erdogan
Auch in Deutschland hat Erdogan vor allem bei vielen religiös-konservativen Türkeistämmigen, die der sunnitischen Ausrichtung des Islams folgen, Rückhalt für seine Politik. Vor allem die mächtige Türkisch Islamische Union (DITIB) ist für ihre staatstreue Haltung bekannt. Auch andere Verbände, die sich im Koordinationsrat der Muslime (KRM) organisiert haben, sympathisieren mit dem türkischen Premier - nicht zuletzt deshalb, weil er dem sunnitischen Islam in der Türkei wieder Raum gegeben hat.
"Ich glaube, in einem demokratischen Land wie Deutschland sollte es möglich sein, dass auch demokratische Ministerpräsidenten zu ihren Landsleuten sprechen können", sagt Haluk Yildiz, Parteichef des Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG), eine von Muslimen in Köln gegründete Partei. "Insofern stehe ich dem Besuch Erdogans neutral gegenüber." Der Deutsch-Türke hat weder Verständnis für die derzeitige Aufregung in den Medien noch für die Empörung deutscher Politiker. "Hier leben drei Millionen Türken und der deutsche Staat hat es nicht geschafft, diese Menschen rechtlich zu integrieren, etwa durch die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft für alle Türken. Und dann erwarten sie von diesen Zuwanderern eine Art Loyalität", meint Yildiz. Es sei doch legitim, dass diese Menschen sich freuten und stolz seien, wenn ihr Ministerpräsident komme und zu ihnen spreche.
Weiterhin Diskriminierung von Aleviten
Erdogan-Gegner hierzulande finden sich vor allem unter Aleviten, Sympathisanten der sogenannten Gülen-Bewegung, aber auch unter vielen säkular ausgerichteten Türkischstämmigen. Die in Deutschland lebenden Aleviten verstehen sich mehrheitlich als eine dem Islam zugehörige Religionsgemeinschaft. In der Türkei hingegen sind sie als solche nicht anerkannt. "Die Aleviten werden diffamiert und stigmatisiert, sie werden beschimpft und als eine 'Abart des Islams' verunglimpft", sagt Yilmaz Kahraman von der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. Seitdem die Erdogans AKP in Ankara an der Macht sei, habe sich die Situation für sie weiter verschlechtert. Das spüre man auch im Umgang mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland seitens der Türkei.
Mit der Protestkundgebung jetzt in Köln wende man sich gegen die undemokratische und autoritäre Politik Erdogans und seiner AKP-Regierung. Unterstützt werden die Aleviten von zahlreichen Organisationen und Verbänden sowie Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Die Assyrische Gemeinde, der Zentralrat der Yeziden, der Humanistische Verband sowie die Armenische Gemeinde etwa hätten ihre Teilnahme am Protest zugesagt, heißt es seitens der Organisatoren. Mit Lale Akgün von der SPD, Volker Beck (Die Grünen) und Sevim Dağdelen (Die Linke), die ebenfalls zur Demonstration kommen werden, setzen auch bekannte deutsche Politiker ein Zeichen.