Partnerschaft oder Mitgliedschaft?
4. Februar 2014Eine privilegierte Partnerschaft mit der EU – viel mehr will Bundeskanzlerin Angela Merkel der Türkei nicht anbieten. In Berlin sagte sie nach einem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, dass sie nach wie vor gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union sei. Die Beitrittsverhandlungen betrachte sie aber als einen ergebnisoffenen Prozess.
Merkel plädierte dafür, bald die Verhandlungen über Kapitel 23 und 24 zu eröffnen, in denen es um Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Menschenrechte geht. Zuvor aber müsse Kapitel 22 abgeschlossen werden, das sich mit der Regionalpolitik befasst. Dieses Kapitel war im letzten November nach drei Jahren Stillstand in den Verhandlungen eröffnet worden.
Mit Blick auf die türkische Minderheit in Deutschland sagte Merkel, Integration sei keine Einbahnstraße. Sie erwarte von Zuwanderern, dass sie sich "auf unser Land einlassen und hier auch ihr Leben gestalten". Die Irritationen, die Erdogan bei einem früheren Besuch ausgelöst hatte, als er vor einer Assimilation der Türken in Deutschland gewarnt hatte, seien inzwischen ausgeräumt. Die Koalition habe außerdem entschieden, in Deutschland aufgewachsenen Türken die Möglichkeit zu einer doppelten Staatsbürgerschaft einzuräumen. Damit verabschiedet sich Berlin von dem sogenannten Optionsmodell, das vorsah, dass sich in Deutschland geborene junge Türken mit dem Erreichen der Volljährigkeit für eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.
"Die EU braucht die Türkei"
Erdogan dankte der Bundeskanzlerin für die enge und gute Zusammenarbeit. Er wünsche sich aber "noch mehr Unterstützung", fügte er diplomatisch hinzu. In einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, hatte er zuvor an die Bundesregierung appelliert, den Beitritt seines Landes in die EU zu unterstützen. Gleichzeitig sagte er zu, dass die Türkei ihrerseits den Reformprozess fortsetzen werde. "Nicht nur die Türkei braucht die EU. Die Europäische Union braucht auch die Türkei", unterstrich Erdogan. Sein Land fungiere als Brücke zum Nahen Osten und zu Nordafrika. Es habe enge Beziehungen zu den Turk-Republiken und zum Balkan. Die Aufnahme der Türkei in die EU könne daher einen wichtigen Beitrag zum Frieden in diesen Regionen leisten. "Es wird nicht möglich sein, eine Zukunft ohne die Türkei zu gestalten", so Erdogan. In seinem Gespräch mit Merkel forderte er auch mehr Unterstützung für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Ankara habe mehr als 700.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen, dafür aber bisher wenig internationale Hilfe bekommen, sagte er.
Innenpolitische Spannungen
Der islamisch-konservative Regierungschef, der seit 2003 im Amt ist, nahm in seinem Vortrag auch Stellung zu den innenpolitischen Spannungen in der Türkei. Die Demonstrationen und Korruptionsvorwürfe gegen seine Regierung wertete er als "Sabotage und Provokation". Organisierte Strukturen, die sich in Polizei und Justiz eingenistet hätten, zielten darauf ab, die Türkei zu destabilisieren. "Wir haben diesen Angriff abgewendet", betonte er.
In Berlin und Brüssel hat das harte Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Demonstranten in Istanbul und Ankara Besorgnis ausgelöst. Darüber hinaus kritisiert man in der EU Erdogans Maßnahmen gegen Polizei und Justiz. Tausende Beamte wurden von ihm zwangsweise versetzt oder ihres Amtes enthoben, nachdem sie begonnen hatten, in Korruptionsfällen zu ermitteln. Auch Erdogans Sohn Bilal wird verdächtigt, sich unrechtmäßig bereichert zu haben.
Wahlen in der Türkei - Wahlkampf in Berlin
Der türkische Ministerpräsident setzt darauf, dass mit dem Kommunalwahlen Ende März ein neues Kapitel in der türkischen Politik aufgeschlagen wird. "Die Wahlen werden ein Wendepunkt sein", sagte er in Berlin. Danach werde ein neues Zeitalter anbrechen und die Türkei ihren wirtschaftlichen Erfolgskurs fortsetzen.
Im Sommer wird sich auch Erdogan selbst wieder zur Wahl stellen. Im August möchte er sich zum Staatspräsidenten wählen lassen. Zum ersten Mal soll das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt werden. Türkische Bürger in Deutschland sollen die Möglichkeit haben, in sieben Wahllokalen ihre Stimme abzugeben. In Deutschland leben drei Millionen Menschen türkischer Abstammung. Etwa die Hälfte von ihnen hat noch einen türkischen Pass und ist daher in der alten Heimat noch wahlberechtigt.
Am Abend dann sprach Erdogan zu seinen Landsleuten. Im sogenannten "Tempodrom", einer Veranstaltungshalle in Kreuzberg, hörten Tausende Anhänger des Ministerpräsidenten zu. Auch seine Gegner meldeten sich in der deutschen Hauptstadt zu Wort. Am Brandenburger Tor und vor dem Kanzleramt gab es lautstarke Proteste gegen Erdogan.