Erdogan-Regierung will Straßenhunde einschläfern lassen
24. Juli 2024Etwa vier Millionen Straßenhunde leben in der Türkei. Die machen vielen Bürgern Angst. Aus ihrer Sicht sind die Streuner ein Problem. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan möchte nun mit einer Änderung des Tierschutzgesetzes die Zahl der Streuner verringern: Bisherige Schutzvorschriften sollen fallen, damit herrenlose Straßenhunde eingeschläfert werden können. Tierfreunde im ganzen Land protestieren gegen den Gesetzentwurf und fordern, dass er zurückgezogen wird.
In der zuständigen parlamentarischen Kommission debattierten die Abgeordneten zwei Wochen lang in harschem Ton über den Gesetzentwurf. Er sorgte für heftigen Streit in dem Konferenzraum des Parlaments in Ankara – aber auch davor. Bürger und Tierschützer verfolgten auf dem Flur die Debatte auf einem Monitor und verbreiteten Äußerungen der Kommissionsmitglieder im Internet. Die Folge: Die Parlamentsverwaltung ließ den Monitor abmontieren. Außerdem wurden die Sicherheitsvorkehrungen vorm Parlamentsgebäude erhöht, die Zahl der Polizeikräfte vor Ort erhöht.
In der Nacht zum Mittwoch nahm die Kommissionsmehrheit alle 17 Artikel des neuen Tierschutzgesetzes an. Nun wird das Parlament darüber abstimmen - dort haben Erdogans AKP und ihre ultranationalistischer Verbündete MHP die Mehrheit. Der geplanten Änderung des Gesetzes scheint also nichts im Wege zu stehen.
"Sterbehilfe" für Tiere?
Doch der Protest von Tierrechtlern und der Opposition reist nicht ab. Das Töten der vielen Streuner dürfe nicht die Lösung sein. Die französische Schauspielerin Brigitte Bardot rief in einem Brief Erdogan dazu auf, das Gesetz zurückzuziehen. Ein türkischer Nationalschwimmer kündigte sogar an, aus Protest in den Hungerstreik zu treten, bis der Gesetzentwurf zurückgezogen wird. Kritisiert wird die Novelle auch deswegen, weil bei der Reform offenbar weder Bedenken aus der Zivilgesellschaft, noch von Tierärzte oder Oppositionsparteien berücksichtigt wurden.
Bisher stellt das geltende Gesetz alle Haustiere unter einen hohen Schutz: Sie müssen die Möglichkeit haben, artgerecht zu leben. Und das gilt auch für herrenlose Hunde.
Ziel des neuen Gesetzes ist, dass keine pflegebedürftigen Tiere mehr frei herumlaufen. Hunde, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und die niemand bei sich aufnehmen will, sollen eingeschläfert werden. Die Regierung bezeichnete dies ursprünglich als "Sterbehilfe". Nach heftigen Verhandlungen wurde der Begriff aus dem Entwurf gestrichen und dieser umgeschrieben – an der praktischen Handhabung wird dies nichts ändern: "In Situationen, in denen die negative Verhaltensweise eines Tiers nicht kontrollierbar ist", könne sich ein Tierarzt für eine Tötung entscheiden, heißt es jetzt.
"Kein Land hat damit etwas erreicht"
Nach Ansicht von Tierärzten und Tierrechtlern ist das eine "Ausrede", um alle herrenlosen Tiere endgültig aus dem Straßenbild zu verbannen. Der Präsident des türkischen Tierarztverbandes, Murat Arslan, meint, dass die Tötung der Straßenhunde keine endgültige Lösung ist. Er plädiert dafür, die Tiere zu durch medizinische Eingriffe unfruchtbar zu machen. Gut ein Viertel der geschätzt vier Millionen Straßentiere sei bereits sterilisiert. "Auf der Welt gibt es kein einziges Land, das mit dem Töten ihre Probleme löste", so Arslan. Wenn der Staat die Möglichkeit geben würde, könne eine Tierärztin oder ein Tierarzt täglich zehn Tiere sterilisieren.
Güliz Gündüz von der Tierschutzorganisation "Gesetz fürs Leben" beklagt, das Töten sei eigentlich nichts Neues, es liefe bislang nur anders: "Die Tiere lebten ganz normal in ihren Nachbarschaften. Dann wurden sie von den Stadtverwaltungen an Stadtränder gedrängt. Man lässt sie dort hungern und dehydrieren", so Gündüz.
Sie warnt die Politik mit emotionalen Worten: "Wenn ihr in unsere Nachbarschaft kommt, um unsere Tiere wegzunehmen, werden wir wie eine Mauer vor euch stehen. Ihr könnt diese Tiere nicht töten, ohne uns zu töten."
"Die Türkei hat ein Problem mit herrenlosen Hunden"
Neşe Özkanoğlu, Stellvertretende Präsidentin des Zentrums für Tierrechte der Anwaltskammer Ankara, warnt, dass der Gesetzesentwurf ein "Potenzial" habe, um Hunde anlasslos zu töten. Und sie sieht ein weiteres Problem: "Was wir hier haben ist auf keinen Fall ein Gesetz, dass die Tierpopulation unter Kontrolle bringt, sondern eins, dass die gesellschaftliche Spaltung weiter vertiefen wird", so Özkanoğlu.
Erdogan verteidigte den Gesetzesentwurf mit den Worten: "Die Türkei hat ein Problem mit den herrenlosen Hunden. Unser Volk verlangt von uns, dass wir dieses Problem lösen. Wir können nicht tatenlos zuschauen."
Opposition will beim Hundetöten nicht mitmachen
Vorgesehen ist, dass Städte und Kommunen das neue Gesetz umsetzen. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, hat allerdings angekündigt, in den von ihr regierten Städten, die neuen Regelungen nicht anzuwenden - das würde derzeit für die Hälfte aller türkischen Städte gelten, unter anderem in der Millionenmetropole Istanbul und auch in der Hauptstadt Ankara. Letztendlich würden aber einfache kommunale Mitarbeiter das Risiko tragen: Der Gesetzesentwurf sieht Haftstrafen für Beamte vor, die das Gesetz nicht umsetzen.