Erdogan schießt gegen Gauck zurück
29. April 2014Das Besuchsprogramm des deutschen Präsidenten hatte für Joachim Gaucks letzten Tag in der Türkei eigentlich nur Angenehmes vorgesehen. Eröffnung der deutsch-türkischen Universität in Istanbul, Mittagessen mit dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül, ein paar Gespräche noch zum Ausklang. Doch ausgerechnet Ministerpräsident Recep Erdogan machte dem Bundespräsidenten einen Strich durch die Rechnung. In der Fraktionssitzung seiner AKP-Partei beschwerte sich Erdogan über Gaucks Rede am Vortag in der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. Dort hatte Gauck sich erschrocken gezeigt über die innenpolitische Entwicklung in der Türkei. Durch die Sperrungen der Videoplattform Youtube und des Kurznachrichtendienstes Twitter, durch Massenversetzungen kritischer Richter und den Versuch der Regierung, Urteile in ihrem Sinne zu beeinflussen, sah Gauck die Demokratie in der Türkei in Gefahr. Vor den Studenten hatte der Präsident unter anderem gesagt: "So frage ich mich heute und hier, ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert ist, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken."
Erdogan wollte die Kritik des deutschen Bundespräsidenten an der Politik seiner Regierung nicht auf sich sitzen lassen. "Zu uns sagt er was anderes, und an der Universität sagt er dann ganz merkwürdige Dinge", erklärte der Ministerpräsident seinen Abgeordneten. "Wir sollen es nicht als Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten verstehen, aber natürlich ist dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Er denkt wohl, er ist immer noch ein Prediger."
Erdogan rückt Gauck in die Ecke der türkischen Opposition
Vor allem die letzte Bezeichnung Gaucks als Prediger hat es in sich. Erdogan, so wird es in der deutschen Delegation verstanden, nimmt damit Bezug auf die oppositionelle Bewegung des islamistischen Predigers Fethullah Gülen. Die Gülen-Bewegung zählt zu den einflussreichsten islamischen Bewegungen in der Türkei. Sie wird vom türkischen islamischen Gelehrten Fethullah Gülen geführt. In der Türkei genießt die Bewegung eine große Anziehungskraft, aber gleichzeitig steht sie auch in der Kritik. Ihr wird vorgeworfen mit ihren Privatschulen in 140 Ländern eine unterschwellige islamistische Agenda zu vertreten. Der Vergleich Gaucks mit Gülen, so die Vermutung im Tross des deutschen Präsidenten, soll den deutschen Bundespräsidenten als einseitige Stimme der türkischen Opposition verunglimpfen.
Gaucks Rede hat den türkischen Ministerpräsidenten offensichtlich hart getroffen. Schon beim Treffen mit Gauck, so Erdogan, habe er die Vorwürfe des deutschen Präsidenten entkräftet, durch die Politik der türkischen Regierung sei der Rechtstaat des Landes in Gefahr. Gauck aber schaue auf die Dinge in der Türkei wie zu Zeiten der Diktatur in der DDR, als er noch Pastor war, sagte der türkische Ministerpräsident. "Das geht nicht. Das ist hässlich."
Echo in den Zeitungen ist gemischt
Die türkische Presse ist gespalten in der Bewertung der Rede Gaucks. Die oppositionellen Medien loben die Offenheit des deutschen Bundespräsidenten und streichen die Kritik an Erdogan heraus. Blätter, die der Regierungspartei nahestehen, heben dagegen das Lob Gaucks für die Hilfe gegenüber den syrischen Flüchtlingen hervor. Die Kritik an der türkischen Regierungspolitik findet nur am Rande Erwähnung.
Noch nie, das war bereits vor Ende des Besuches klar, hat der Bundespräsident im Ausland ein derart starkes Echo auf Reden zu seinem Grundthema, der Freiheit des Einzelnen und dem Schutz gegenüber staatlicher Willkür bekommen. Ganz bewusst habe Gauck mit seinen klaren Worten die bisherige diplomatische Linie der deutschen Politik gegenüber der Türkei überschritten, heißt es in deutschen und türkischen Medien.
Gauck: Kritik war "eher zurückhaltend"
Gauck erfuhr von den Vorwürfen Erdogans auf der Rückfahrt von der Eröffnung der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul. Bei den Festreden hatte ihn Staatspräsident Gül, einen "persönlichen Freund" genannt und die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern nicht nur im Wissenschaftsbereich gelobt. Die Chemie, das sagen Teilnehmer der Gespräche, sei zwischen beiden Präsidenten deutlich besser als zwischen Gauck und Erdogan.
Der deutsche Präsident reagierte erst am späten Nachmittag in Istanbul auf die Vorwürfe des türkischen Ministerpräsidenten. "Ich habe getan, was meine Pflicht war", sagte Gauck, "mich konkret mit der Wirklichkeit und hiesigen Konflikten auseinanderzusetzen. So, wie wir sie aus Medien und der Zivilgesellschaft erkennen können."
Er habe nichts erfunden, so Gauck und sei bei seinen Äußerungen "eher zurückhaltend" gewesen. Der deutsche Präsident hatte sich in der türkischen Metropole mit Vertretern von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen getroffen und dabei nach eigenen Angaben viel Zustimmung für seine Beschreibung der Türkei zu hören bekommen.