Erdogan will eine neue Ära
11. August 2014Nach dem Ausgang der Präsidentenwahl sagte der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, er wolle eine "neue Ära" beginnen und den "Streit der Vergangenheit" beilegen. Der islamisch-konservative Politiker äußerte sich am Sonntagabend in einer Ansprache vor seinen Anhängern in Ankara. "Ich danke allen Bürgern, ob sie mich gewählt haben oder nicht, die dazu beigetragen haben, Geschichte zu schreiben an so einem historischen Tag", so Erdogan auf dem Balkon des Gebäudes seiner Partei AKP.
Absolute Mehrheit auf Anhieb
Erdogan hatte die Wahl am Sonntag laut vorläufigem Endergebnis auf Anhieb mit rund 52 Prozent der Stimmen gewonnen. Sein Hauptrivale Ekmeleddin Ihsanoglu kam auf etwa 38 Prozent der Stimmen, der Kandidat der kurdischen Minderheit, Selahattin Demirtas, erhielt knapp zehn Prozent. Also: Absolute Mehrheit für Erdogan auf Anhieb.
Mit der Bemerkung über den "Streit der Vergangenheit" spielte Erdogans auf die zahlreichen Krisen seiner jüngsten Regierungszeit an. Doch weder landesweite Proteste noch die Korruptionsaffäre oder die internationale Kritik an seinem autoritären Regierungsstil vermochten seine Machtstellung ernsthaft zu gefährden. Viele der 76 Millionen Türken sehen in dem früheren Bürgermeister von Istanbul den Vater jenes Wirtschaftswachstums, mit dem sich die Türkei international größeres Gewicht verschafft hat. Auch gilt Erdogan gerade dem streng religiösen Mittelstand als Hüter einer islamischen Ordnung, die wichtiger sei als demokratische Freiheiten.
Anhänger von Erdogans AKP fuhren in hupenden Autokonvois mit wehenden Fahnen durch die Straßen der Hauptstadt Ankara, als das türkische Fernsehen berichtete, dass Erdogan 13 Prozentpunkte mehr als sein wichtigster Rivale erzielt hatte. Der Vorsitzende der Wahlbehörde bestätigte den Sieg Erdogans. Die türkische Wahlkommission wird das Ergebnis der Wahl offiziell erst am Montag bekanntgeben.
EU gratuliert
Die Europäische Union gratulierte Erdogan inzwischen zum Wahlsieg. "Die Türkei ist ein Schlüsselpartner für die Europäische Union: Ein Kandidatenland, das über den EU-Beitritt verhandelt, ein Nachbar, ein wichtiger Handelspartner und ein außenpolitischer Verbündeter", schrieben Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy in einer gemeinsamen Erklärung. Die beiden Politiker richteten indes auch mahnende Worte an Erdogan.
"Wir vertrauen darauf, dass Sie die versöhnende Rolle, die Ihre neue Stellung mit sich bringt, beibehalten und sich darum bemühen, alle Gruppen, Glaubensrichtungen, Befindlichkeiten, Meinungen und Lebensstile der türkischen Gesellschaft zu respektieren." Man hoffe zudem auf weitere Bemühungen um Versöhnung mit der kurdischen Bevölkerung und um eine Beilegung der Streitigkeiten um die Mittelmeerinsel Zypern.
Erste direkte Wahl
Es handelte sich um die erste direkte Wahl des Präsidenten in der Türkei, wo das Staatsoberhaupt bislang vom Parlament bestimmt wurde. Erdogan strebt zwei Amtszeiten von je fünf Jahren an. Nach seinem Willen soll das Staatsoberhaupt, das bisher eher repräsentative Aufgaben hatte, mit neuen Befugnissen ausgestattet werden.
Zur Wahl waren etwa 53 Millionen Türken aufgerufen. Nach Einschätzung eines OSZE-Beobachters war die Beteiligung im Vergleich zur Kommunalwahl im März gering. Erstmals konnten auch im Ausland lebende Türken in ihren Gastländern ihre Stimmen abgeben. So waren in Deutschland Wahllokale in sieben Städten für die etwa 1,4 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Türken eingerichtet worden.
Bürgerrechte in der Defensive
Kritiker Erdogans beklagen, dass die Türkei unter ihrem Ministerpräsidenten immer stärker von ihrer weltlichen Orientierung abrückt und Bürgerrechte beschnitten werden. Beobachter haben Zweifel, ob die Türkei unter diesem starken Mann tatsächlich Mitglied der Europäischen Union werden kann - derzeit hat das Land den Status eines Beitrittskandidaten. Die Opposition wirft Erdogan ferner vor, hemmungslos seine Vorteile als Regierungschef auszunutzen. So habe der staatliche Sender TRT zwischen dem 4. und dem 6. Juli 533 Minuten über Erdogan berichtet und dreieinhalb Minuten über seinen wichtigsten Rivalen Ihsanoglu. Auch eine Delegation des Europarates monierte, Erdogan nehme einen unverhältnismäßig großen Raum in der Berichterstattung ein.
ml/SC/kle (afp, rtr, dpa)