Erdogan wirft Deutschen "Nazi-Praktiken" vor
5. März 2017Aus Wut über die Absage mehrerer Wahlkampfauftritte türkischer Minister in der Bundesrepublik hat Präsident Recep Tayyip Erdogan den deutschen Behörden Nazi-Methoden vorgeworfen. "Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von den früheren Nazi-Praktiken", sagte der türkische Staatschef in einer Rede in Istanbul. Er hätte gedacht, diese Zeit sei in Deutschland längst vorbei - "wir haben uns geirrt", schob Erdogan verächtlich hinterher.
Der Präsident äußerte sich auf einer Großveranstaltung der regierungsnahen Frauenorganisation "Kadem", auf der er für ein "Ja" beim Verfassungsreferendum im April warb.
Deutliche Kritik am Nazi-Vergleich
"Unverschämt, geschichtsvergessen, anmaßend", reagierte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner auf die Äußerungen Erdogans. Unionsfraktionschef Volker Kauder nannte den Vergleich im ARD-Fernsehen einen "nicht akzeptablen Vorgang". Es gehe nicht, dass der Präsident eines NATO-Mitglieds sich so über ein anderes Mitglied äußere. "Das weise ich in aller Form und in aller Schärfe zurück." Der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der "Passauer Neuen Presse": "Das ist eine ungeheuerliche Entgleisung des Despoten vom Bosporus. Der Nazi-Vergleich ist ebenso unverschämt wie abwegig." Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen forderte, die Bundesregierung müsse eine "Rote Linie" ziehen.
Verbote gegen Opposition
Im Istanbuler Stadtteil Bakirköy demonstrierten unterdessen Tausende Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags und warben für ein "Nein". Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, im südosttürkischen Sanliurfa seien 21 Menschen festgenommen worden, die sich anlässlich des Weltfrauentags versammeln wollten. Die Behörden hatten nach DHA-Angaben einen Protestmarsch zuvor verboten.
In Deutschland hatten die Kommunalbehörden mehrere Wahlkampfveranstaltungen von Ministern aus Erdogans Kabinett abgesagt, meist unter Verweis auf Sicherheitsbedenken. Diese Absagen hatte Erdogan bereits am Freitag zu schweren Vorwürfen an Deutschland bewogen. Die türkischen Minister dürften dort nicht sprechen, während Vertreter verbotener Kurdenorganisationen öffentlich das Wort ergreifen dürften. Die deutsche Behörden müssten deshalb "wegen Unterstützung und Beherbergung von Terrorismus vor Gericht gestellt werden", hatte er gesagt.
Gabriel betont Freundschaft
Zuvor hatte es auch versöhnlichere Töne gegeben. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel warnte vor einer weiteren Eskalation. "Wir dürfen uns das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen", schrieb der SPD-Politiker in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Bild am Sonntag". Man sei "gut beraten, die schwierigen Themen, die zwischen uns stehen, nicht gegeneinander aufzurechnen. Gesprächskanäle zuzuschütten, ist keine Politik", so Gabriel.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warb für Toleranz. Es liege zwar nahe, solche propagandistischen Veranstaltungen türkischer Minister verhindern zu wollen, sagte Oppermann der Zeitung "Welt am Sonntag". Man sei aber schlecht beraten, das zu tun. "Denn wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, dürfen wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten."
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim soll in der Konfliktfrage eine Stunde lang mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert haben. Die Türkei werde ihre "Taktik beim Wahlprogramm etwas ändern", wurde Yildirim anschließend von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zitiert. Berlin bestätigte lediglich das Gespräch, Details wurden nicht genannt.
Der Fall Yücel
Neu entfacht worden war die Debatte vor allem auch durch den Fall des in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel. Politiker aller Parteien hatten beklagt, dass sich türkische Politiker in Deutschland frei äußern dürften, während die Türkei ständig gegen Meinungs- und Pressefreiheit verstoße und Journalisten hinter Gitter bringe.
In der kommenden Woche will sich der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Gabriel treffen. Er wurde auch zu einer Veranstaltung in Hamburg erwartet.
Die Türken entscheiden am 16. April in einem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems, welches die Machtbefugnisse Erdogans erheblich ausweiten und die des Parlaments beschneiden würde. Auch 1,4 Millionen in Deutschland lebende Türken sind dabei abstimmungsberechtigt.
SC/qu (afp, rtre, epd, ARD)