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Hans W. Geißendörfer wird 70

6. April 2011

Hans Wilhelm Geißendörfer hat mit der Serie "Lindenstraße" Fernsehgeschichte geschrieben. Allerdings ist er auch ein erfolgreicher Produzent und Kinoregisseur. Darüber ein Gespräch zu seinem 70. Geburtstag.

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Hans W. Geißendörfer - Porträt, (Foto: Rolf Vennenbernd dpa )
Bild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Sie produzieren seit 25 Jahren die "Lindenstrasse". Ein Format, das viel mit Emotionen zu tun hat, die sich aber nur auf dem kleinen Bildschirm abspielen. In Ihren Kinofilmen spielen große Gefühle eine hervorstechende Rolle. Auch in Ihrem neuen Kinofilm "In der Welt habt ihr Angst". Sind diese Gefühle und Emotionen im Kino besonders stark ausgeprägt, weil sie in der "Lindenstrasse" möglicherweise nicht ganz so groß sein können?

Hans W. Geißendörfer: Das ist absolut richtig beobachtet. Wir haben zwei völlig verschiedene Welten, in denen ich - Gott sei Dank - regelmäßig spazieren gehen kann, und die ich nutzen kann. Die "Lindenstrasse", die ich leidenschaftlich gerne mache und hoffe noch viele Jahre machen zu dürfen, ist der epische Teil. Die "Lindenstrasse" ist der Roman, der Fortsetzungsroman, die endlose Geschichte. Das Kino ist ein Gedicht, ist eine Verdichtung von dramatischen oder weniger dramatischen Ereignissen, die auch in der "Lindenstrasse" vorkommen können, die aber im Kino auf den Punkt gebracht werden müssen, die keine Fortsetzung haben, die keine epische Breite haben. In der "Lindenstrasse" ist Poesie bestenfalls beim Vorlesen einer Geschichte für ein Kind zum Einschlafen denkbar. Oder auch als Zitat. Im Kino ist Poesie Voraussetzung. Ich bin so vermessen und sage, dass gerade der Film "In der Welt habt ihr Angst" eher eine Gedichtform hat als eine epische Struktur.

Regisseur Hans W. Geissendörfer in der Kulisse von Lindenstrasse, Straßenschild, (Foto: dpa)
Der Herr der Lindenstraße: Hans W. GeißendörferBild: picture-alliance/dpa

Sie arbeiten auch als Produzent, auch international. Sie haben im vergangenen Jahr als Co-Produzent einen großen Erfolg gehabt. Die Goldene Palme in Cannes gab es für den von Ihnen mitverantworteten thailändischen Film "Onkel Boonmee". Da spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Interessiert es sie, experimentelle Filmemacher zu unterstützen?

Ja, Zeit ist ein Thema, das mich schon als Student in meiner Doktorarbeit beschäftigt hat, die hieß "Der Begriff der Zeit bei Thomas Mann im Zauberberg". Daraus ist letztlich dann der "Zauberberg"-Film entstanden. Die Doktorarbeit hat warten müssen bis heute. Zeit ist einfach das, was unbestechlich für jeden gilt. Das "gerechteste" Element unseres Lebens. Die Zeit gilt für Arme, für Hungrige, für Reiche, für Lustmörder. Ein Element, dem wir alle gehorchen müssen. Insofern ist sie philosophisch wahnsinnig spannend, und wir gehen alle eine bestimmte Zeit lang in die gleiche Richtung.

Szene mit CHRISTOPH EICHHORN, ROD STEIGER und MARIE FRANCE PISIER in Der Zauberberg (Foto: kpa)
Szene aus "Der Zauberberg"Bild: picture-alliance/KPA Copyright

Erfolg in Cannes

Wenn ich unseren "Onkel Boonmee" nehme von Regisseur Apichatpong Weerasethakul, dann hat das natürlich sehr viel damit zu tun. Der Film beginnt mit einem älteren Herrn, der ist 64. Er weiß, er hat nur noch 24 Stunden zu leben. Seine Zeit läuft ab. Was macht der? Er begegnet all den Menschen, die er während seines Lebens kennengelernt hat. All das ist spannend.

Da spielt die persönliche Leidenschaft für bestimmte Themen selbstverständlich eine große Rolle. Die zweite Frage ist immer, was kommt dabei zum Vorschein? Bei "Onkel Boonmee" kann man sehr gut erfahren, was Zeit eigentlich ist. Also nicht nur die Zeit, die man so kennt, dass am Morgen der Wecker klingelt, sondern auch die philosophische Zeit. Das ist einfach ein toller Film.

Die philosophische Zeit geht einem auch durch den Kopf, wenn man einen runden Geburtstag hat. Da denkt man ja vielleicht auch mal darüber nach, was hat man erreicht in seiner Karriere als Film- und Fernsehregisseur und als Produzent? Würden Sie sagen, das habe ich gut gemacht oder da habe ich irgendwas verpasst, das hätte ich doch anders machen sollen?

Zukunft wichtiger als die Vergangenheit

Eigentlich gibt es ganz weniges, wo ich sage, ich hätte es anders machen sollen. Wenn ich die Chance hätte wiedergeboren zu werden und alles noch einmal zu machen, würde ich nichts ändern. Ich habe keine Phase meines Lebens, die ich bereue. Das ist ein Glückszustand. Ich habe vielleicht in dem einen oder anderen Arbeitsbereich, auch in den Filmen, Stellen, wo ich sage, die würde ich verbessern. Da habe ich die Fehler erkannt. Man muss aber auch Fehler machen, damit man sie im nächsten Film nicht mehr macht. Alles hat seine Entwicklung. Ich bin jemand, der auch zu den Dingen steht, die er falsch gemacht hat. Aber die Zukunft ist mir sehr, sehr viel wichtiger als die Vergangenheit.

Szene aus dem Film Uncle Boonmee (Foto: Sayombhu Mukdeeprom / Illumination films (past lives) & kickthemachine)
Szene aus "Onkle Boonmee"Bild: Sayombhu Mukdeeprom/Illumination films (past lives)&kickthemachine

Ich traktiere Sie trotzdem noch mal mit der Vergangenheit. Sie haben ja sehr aktiv auch beim Neuen deutschen Film mitgewirkt, auch als Mitgründer des "Filmverlags der Autoren". Fühlen Sie sich da eigentlich noch zugehörig? Haben Sie noch Kontakte zu den ehemaligen Mitstreitern?

Ja. Die sind sogar intensiver, als sie damals waren. Damals waren wir eine Notgemeinschaft. Wir haben etwas versucht mit dem Mantel des Sozialismus auf der Schulter, der aber sehr durchsichtig war. Wir haben versucht, gemeinsam Filme zu finanzieren. Inhaltlich waren wir wesentlich weiter auseinander, als wir das heute sind. Inhaltliche Agitation, politische Inhalte, waren damals in den 60er und 70er Jahren eine Selbstverständlichkeit. Aber trotzdem hat Werner Herzog mit Wim Wenders sehr wenig geredet oder Wim mit mir. Wir haben zwar zusammen gewohnt, aber über unsere Inhalte haben wir uns fast nie ausgetauscht. Die Kontakte heute sind auch nicht sehr viel anders. Aber die Deutsche Filmakademie, die Bernd Eichinger mitbegründet hat, die hilft da. Die haben gesagt, wir bräuchten einen engeren Familienzusammenschluss, wir müssten miteinander reden.

Als Regisseur ist man einsam...

Ich habe an die Zeit noch gute Erinnerungen. Sehr einsame Erinnerungen auch. Filmemacher sind immer in erster Linie allein. Das klingt jetzt sehr pathetisch, aber es ist wirklich so: Sie machen zwar einen Film mit einem Team, aber wenn sie der Kopf dieses Teams sind, ist die Einsamkeit wesentlich größer, als die Freude darüber, dass man zusammengehört. Kontakte sind da. Beispielsweise zu Wim Wenders. Aber ich bin nach wie vor auch der Solotänzer, der ich immer war. Ich war nie abhängig von irgendwelchen Clubs.

Szene aus dem Film In der Welt habt ihr Angst (Foto: Movienet Filmverleih)
Emotionen im Kino: "In der Welt habt ihr Angst"Bild: Movienet Verleih/A. Fischerkoesen



Wie beurteilen Sie die nachkommende Generation des deutschen Films? Man sagt gerne, früher waren alle engagiert. Das waren die ´68er! Die waren politisch geprägt. Heute sei das anders. Ist das so?

Ich verfolge das mit großem Interesse. Allein schon, weil man ja eigene Kinder hat, die teilweise auch Filme machen und produzieren beziehungsweise Theater machen. Dadurch habe ich auch engen Kontakt zu wirklich sehr jungen Leuten. Ich glaube, der größte Unterschied liegt nicht in den inhaltlichen Ambitionen. Die Jungen machen durchaus auch sozialkritische Geschichten. Manche setzen natürlich nur auf die Komödie und auf die Oberflächlichkeit, auf Unterhaltung - was aber auch sein muss!

Verführerische und preiswerte Technik

Die Technik macht allerdings einen großen Unterschied aus, die Leichtigkeit der Technik. Sie können heute, wenn sie 18 oder auch 25 Jahre alt sind, mit der Kamera, mit einer normalen Videokamera, sendefähiges Material produzieren. Sie können sich ausprobieren. Sie können sehr, sehr billige Filme produzieren, die trotzdem auf der Leinwand funktionieren. Es wird aber weniger nachgedacht, weil es relativ einfach ist, Filme zu machen.

Und es gibt sehr viele Hochschulen. Zu unserer Zeit, 1966, wurde die erste gegründet. Heute haben wir jedes Jahr rund 300, 400 fertig ausgebildete Regisseure mit irgendeinem akademischen Diplom in der Tasche, die auf den Markt strömen. Die Konkurrenz hat sich verschärft. Der Solotänzer kann eigentlich gar nicht mehr so viel Solo tanzen, sondern er muss sich organisieren um seine Filme überhaupt zeigen zu können, sie auf Festivals zu schicken. Die eigentliche Revolution liegt also beim Handwerk.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Marlis Schaum