Erfolgreiche Militärmission Atalanta vor Somalia
19. Dezember 2013Das Internet-Tagebuch von Oberleutnant zur See Matthias G. an Bord der deutschen Fregatte "Karlsruhe" liest sich meist beschaulich. "Erneut boten wir der 'Caroline Scan' mit Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms sicheres Geleit in den (…) Hafen von Kismayo in Somalia. Ein gutes Gefühl zu wissen, dass man einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der schwierigen Lage in Somalia leisten kann", schrieb G. etwa im Februar 2013.
Inzwischen verläuft der Alltag der Soldaten der EU-Mission Atalanta vor der Küste des Bürgerkriegslands Somalia meist friedlich. Doch das war keineswegs von Anfang an so. Der Marine-Einsatz ist nicht zufällig nach der kriegerischen Jägerin der griechischen Mythologie, Atalanta, benannt. Neben dem "guten Gefühl", der somalischen Zivilbevölkerung zu helfen, ging es von Anfang an auch darum, den für Europa und vor allem Deutschland wichtigen Handelsweg durch den von somalischen Piraten bedrohten Golf von Aden zu sichern.
Allein im Jahr 2008 hatten Piraten am Horn von Afrika 42 Schiffe entführt und damit den UN-Sicherheitsrat auf den Plan gerufen. Dessen Resolutionen nahm die EU als Grundlage, erstmals eine Militärmission auf hoher See auf die Beine zu stellen. Bereits im Dezember desselben Jahres patrouillierten die ersten EU-Fregatten vor der Küste Somalias. Bei einem ihrer ersten Einsätze mussten die Deutschen mit einem Kampfhubschrauber in letzter Minute Piraten daran hindern, einen ägyptischen Frachter zu kapern.
Mission erfüllt
Hauptaufgabe der EU-Soldaten war zunächst der Schutz von Versorgungsschiffen des Welternährungsprogramms der UN, das damals rund ein Drittel der somalischen Bevölkerung versorgte. Dafür stehen heute bis zu 1400 Soldaten der Bundeswehr bereit, die neben Franzosen, Griechen, Niederländern und Portugiesen auf See und in den Führungsstäben an Land Dienst tun.
Für Katja Keul ist der Einsatz ein Erfolg. Keul ist parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Sie hat sich immer wieder mit der Atalanta-Mission und Somalia beschäftigt. "Es sind seitdem über 200 Schiffe geschützt worden und es wurden knapp eine Million Tonnen Lebensmittel nach Somalia gebracht - das hat also funktioniert", sagt Keul. Durch die Präsenz der Europäer sei zudem der Auftrag, den Zugang zur hohen See zu gewährleisten, erfüllt worden - "die Zahl der Piratenangriffe ist deutlich zurückgegangen".
Deutsche Handelsinteressen bedroht
Keul weiß, dass das Engagement der Europäer nicht von rein humanitären Motiven geleitet ist. Als führende Exportnation hat vor allem Deutschland ein großes Interesse an einem sicheren Golf von Aden, einer der weltweit wichtigsten Handelsrouten. Diese Interessenpolitik war immer wieder Gegenstand von Kritik. "Man könnte böswillig sagen, Atalanta hat den nötigen Rückhalt, weil es eben auch eigenen Interessen dient", sagt Keul der DW. Kritiker bemängelten zudem, dass der Einsatz auf See allenfalls die Symptome kuriere, aber die strukturellen und politischen Probleme des gescheiterten Staates Somalia nicht an der Wurzel fasse.
Zuletzt sorgte 2012 die Ausweitung des Mandates für heftige Diskussionen im politischen Berlin. Grüne und SPD sprachen sich gegen eine Ausdehnung des Einsatzgebietes auf die inneren Küstengewässer und einen zwei Kilometer tiefen Streifen an Land aus. Seit einem Kabinettsbeschluss im April 2012 dürfen deutsche Soldaten nun auch aus der Luft gegen Stützpunkte der Piraten auf dem somalischen Festland vorgehen.
Erfolg für Brüssel
Allein die Tatsache, dass nie zuvor außerhalb eines Kriegseinsatzes Seestreitkräfte unter der Führung der Europäischen Union derart eng zusammengearbeitet haben, und zudem Staaten wie China und Russland erfolgreich eingebunden wurden, darf in Brüssel als Erfolg verbucht werden. Adjoa Anyimadu, Piraterie-Expertin beim Institut Chatham House in London, betont jedoch, dass der Erfolg von Atalanta nicht zuletzt der Unterstützung der Partner geschuldet ist. "Die beiden anderen Anti-Piraterie-Missionen von NATO und den USA im Indischen Ozean haben wesentlich zum Gelingen der EU-Operation beigetragen."
Für die grüne Verteidigungsexpertin Keul zeigt das Beispiel Atalanta, dass die Europäer durchaus schnell handeln können, wenn ihre gemeinsamen Interessen bedroht sind, wie in diesem Fall die strategischen Handelswege am Horn. Bei der Stabilisierung Somalias an Land sei das Engagement dagegen weniger stark. "Da fehlt der politische Wille". So erwartet Keul mehr deutsche Unterstützung, "um eben die Sicherheit an Land und die staatlichen Strukturen, die sich vorsichtig abzeichnen, zu stützen". Mehr Unterstützung brauche etwa die ebenfalls EU-geführte Ausbildungsmission EUCAP Nestor, die die Staaten der Region langfristig in die Lage versetzen soll, selbst für die Sicherheit in ihren Gewässern zu sorgen. Auch Adjoa Anyimadu plädiert im Gespräch mit der DW dafür, dass die Sicherheitspräsenz auf hoher See von "ernsthaften politischen Fortschritten an Land flankiert wird, die von der internationalen Gemeinschaft mitgetragen werden".
Vorbild Atalanta im Mittelmeer?
Die global operierende Piraterie-Industrie ist inzwischen von Somalia nach Westafrika weiter gezogen. Während der Alltag auf der "Karlsruhe" am Horn von Afrika ruhiger geworden ist, wird in der EU bereits darüber nachgedacht, die Marine-Soldaten zur Lösung einer ganz anderen Art von Krise einzusetzen: Die italienische Regierung schlug jüngst eine Mission nach dem Vorbild von Atalanta gegen Menschenschlepper im Mittelmeer vor. Katja Keul von den Grünen ist da allerdings skeptisch. Ob der Anti-Piraten-Einsatz als Vorlage zur Bekämpfung von Kriminalität auf hoher See tauge, müsse man sich "im Einzelnen daraufhin angucken, was denn genau mandatiert werden soll".