Georg Baselitz zieht malerisch Bilanz
8. Juni 2018Es ist eine sensationelle Schau, die immer wieder staunen lässt: über den malerischen Fokus, den der Künstler auf das eigene Altern richtet. Über die vielen Anspielungen auf Werke und Motive anderer Künstler. Über die Bezüge Baselitz' zur barocken Kunst, die das Museum Unterlindenbeherbergt. Und überhaupt, weil Baselitz, Jahrgang 1938, hier eine überraschende Bilanz seines Künstlerlebens zieht.
Ausgestellt werden die Arbeiten, die alle in den letzten drei Jahren entstanden, noch bis zum 29. Oktober: riesige wandfüllende Gemälde ebenso wie Zeichnungen und Aquarelle hinter Glas, assistiert von grobbehauenen, baumdicken Holzskulpturen. Die meisten Werke sind Selbstporträts, zeigen den alternden Körper des Künstlers oder den seiner Frau Elke. "Ich mache eigentlich nichts anderes mehr als diese zwei zu malen", sagt Baselitz. "Das ist eine ziemlich abgeschlossene Welt. Das finde ich gut."
Viele Bilder sind Ölzeichnungen, die ihr Motiv oft nur konturen- oder zeichenhaft zeigen: nackte Gliedmaßen, welke, von Narben und Blessuren übersäte Haut, schlaffe Muskulatur, verdickte Gelenke. Schonungslos ist Baselitz' Blick auf die eigene Gebrechlichkeit, bestürzend seine Ehrlichkeit.
Parallen zur Altarmalerei
Kuratorin Frédérique Goerig-Hergott sieht denn auch Parallelen zur Altarmalerei Matthias Grünewalds, dessen Isenheimer Altar von 1516 zur Sammlung des Musée Unterlinden gehört. Berühmt ist Grünewald für die zu seiner Zeit drastische und detailreiche Darstellung des geschundenen Körpers von Jesus am Kreuz. Doch von religiösen Anwandlungen will Baselitz nichts wissen: Auch wenn er in der Tradition der Altarmalerei stehe, sagt er, seien seine Bilder "weder religiös noch verwiesen sie auf das Jenseits".
Neue Ausdrucksformen
Immer wieder hat Baselitz, zu dessen rundem Geburtstag derzeit viele Ausstellungen in München, Dresden, New York und in der Schweiz laufen, neue Ausdrucksformen für Körper gefunden. Mal in der Tradition der Aktmalerei, mal als Selbstporträt, mal als Skulptur. In Colmar belegt das etwa "Abgang mit Marcel": ein Gemälde, in dem der untere Teil seines Körpers, in eine schwarze Fläche geritzt, eine Treppe herabsteigt. In "Schnell die zehnte Nacht abwärts" lässt Baselitz seine Umrisse horizontal aus dem düsteren Bild schreiten.
Und auch das gibt es auch in der Colmarer Ausstellung: Der "Kopf-über-Maler" Baselitz bricht mit seiner Marotte, die ihn 1969 weltberühmt machte, etwa im Bild "Ohne Titel" von 2016, das eine liegende Gestalt zeigt.
Nicht nur Grünewalds Figuren erweist Baselitz seine künstlerische Referenz: Er zitiert etwa auch ein Paar-Motiv von Otto Dix, indem er sich und Elke auf einem Sofa sitzend malt. Er stellt den eine Treppe herabsteigenden Akt dar - ein Motiv, das auch viele Künstler des 20. Jahrhundert durchspielten, von Marcel Duchamps bis Gerhard Richter. Und Baselitz verteidigt – volltönend und augenzwinkernd – seinen Platz in der Kunstgeschichte: "Ich zeige hier nicht mein Alterswerk", lässt er wissen", ich will beweisen, dass ich noch besser bin als alle anderen!"