Die Risiken der Tiefseebohrungen
23. November 2011Anders als im Golf von Mexiko liegt das brasilianische Öl unter einer Salzschicht bis zu 2000 Meter tief unter dem Meeresspiegel. Das erhöht zwar nicht das Risiko einer Bohrung. Aber wer an das brasilianische Öl will, muss die Salzdecke durchbohren und dabei wie bei jeder Ölbohrung dafür sorgen, dass die Flüssigkeit nicht unkontrolliert aus dem Bohrloch schießt. Das Öl steht unter einem Überdruck, die Salzdecke lastet auf ihm.
Diesen Druck hatten die Chevron-Mitarbeiter offensichtlich unterschätzt, das gibt der Konzern offen zu. Auch im Fall der Explorations-Plattform Deepwater-Horizon hatten die Techniker den Druck falsch eingeschätzt. Zusätzlich konnte BP nachgewiesen werden, dass notwenige Vorsichtsmaßnahmen nicht so umgesetzt wurden, wie es angemessen gewesen wäre. Rund um die aktuelle brasilianische Bohrung ist zu solchen technischen Details noch nichts bekannt.
Risikofaktor Druck
Normalerweise wird bei einer Bohrung das Gestein, das man entfernen möchte, mit Wasser weggespült - gleichzeitig hält genau diese Bohrspülung das Öl dort, wo es bleiben soll. Wenn ein Ölreservoir aber unter einem immensen Überdruck steht, wie es auch vor Brasilien der Fall ist, mischt man für die Bohrspülung Wasser mit Zusatzstoffen zu einem Gemisch, das dann so schwer ist, dass es das Öl nach unten drücken kann. Somit kommt es nicht zu einem Blow Out, einem ungehinderten Ausströmen von Öl und Gasen.
Da Chevron bislang nur die nötigsten Informationen veröffentlicht hat, ist bis jetzt nicht genau klar, was in der Nähe des Ölfelds Frade im Campos-Becken im Atlantik passiert ist, nachdem der Druck im Bohrloch außer Kontrolle geraten ist. Der Konzern spricht von Flüssigkeit, die ins Bohrloch gelangt sei und zu Rissen im Gestein im Umfeld der Bohrung geführt habe. Durch diese Risse sei Öl ins Wasser gedrungen. Diese Lecks habe man inzwischen zementiert und geschlossen. Chevron hat auf der Videoplattform Youtube Bilder veröffentlicht, auf denen zu sehen ist, wie Öl noch am 11. November durch kleine Risse im Meeresboden perlt. Auf Aufnahmen, die den Stand fünf Tage später dokumentieren sollen, ist zu sehen, dass diese Risse abgedichtet sind. Es ist Videomaterial, das Tieftauchroboter liefern, die Chevron einsetzen muss, um das Leck zu reparieren.
Risikofaktor Technik
Die Umweltschutzorganisationen Greenpeace und Skytruth trauen den Aufnahmen nicht, sie beobachten deshalb den Ölteppich auf der Wasseroberfläche. Laut aktuellen Berichten der brasilianischen Behörden hat sich dieser Teppich deutlich verkleinert und soll jetzt noch zwei Quadratkilometer groß sein. Am Sonntag (20.11.2011) habe er noch eine Größe von zwölf Quadratkilometern gehabt. Das spricht dafür, dass das Leck vor der brasilianischen Küste geschlossen werden konnte.
Grundsätzlich ist das Risiko einer Ölbohrung in der Tiefsee vor Brasilien ähnlich groß wie das im Golf von Mexiko. Im Fall der Bohrplattform "Deepwater Horizon" war der Blow Out im April 2010 aber so immens, dass sich Erdgas entzündete, das unter hohem Druck mit aus dem Bohrloch stieg. Die Plattform geriet dadurch in Brand. Zusätzlich hatte hier tragischerweise der so genannte "Blow Out Preventer" versagt, eine Schutzvorrichtung am Meeresboden: Absperrventile, die im Falle des Falls das Bohrloch verschließen können.
Es dauerte Monate, bis der verantwortliche Ölkonzern British Petrol (BP) schließlich Mitte September 2010 erklärte, das Bohrloch sei restlos abgedichtet und die Füllung aus Schlamm und Zement halte dem Druck dauerhaft stand. 780 Millionen Liter Öl waren bis zu diesem Zeitpunkt in den Golf von Mexiko geströmt. Bis zum 1. November 2011 waren dadurch unter anderen mehr als 8000 Seevögel umgekommen, 1114 Seeschildkröten und 109 Meeressäuger wie Wale, Robben und Otter. Dazu eine unbekannte Zahl an verendeten Fischen und Tieren auf offener See. Über die Mengen von Öl, die sich noch am Meeresboden befinden sollen, gibt es unterschiedliche Angaben.
Risikofaktor Öl
Chevron und die nationale brasilianische Ölagentur ANP sprechen von 5000 bis 8000 Barrel Öl, die seit dem 7. November aus dem Leck vor Brasiliens Küste in den Atlantik geströmt sein sollen. Das wären umgerechnet etwa 800.000 bis 1,2 Millionen Liter. Greenpeace vermutet allerdings anhand der Größe des Ölteppichs auf Satellitenbildern, dass seit Anfang November bis zu 3700 Barrel Öl pro Tag aus dem Bohrloch geflossen sind, das würde sich bis heute auf etwa 8,2 Millionen Liter summieren. Im Vergleich zu den 780 Millionen Litern im Golf von Mexiko ist das zwar nur ein Bruchteil, die Verschmutzung des Gewässers ist trotzdem da.
Die mutmaßlichen Folgen für das Ökosystem vor Brasiliens Nordwestküste unterscheiden sich nicht von denen im Golf von Mexiko. Mit dem feinen Unterschied, dass eben offensichtlich deutlich weniger Öl in die Umwelt gelangt ist. Außerdem wird der Ölteppich vor Brasilien derzeit weiter aufs offene Meer hinaus getrieben und nicht an die Strände gespült. In der Nähe des Ölteppichs sollen zwar Delphine gesichtet worden sein, die hier ihre Wanderwege haben, aber verendete Tiere wurden noch nicht registriert. Dennoch werden die Substanzen des Öls natürlich von Organismen aufgenommen und auch die Öl zersetzenden Chemikalien, die zur Bekämpfung des Ölteppichs eingesetzt werden, haben Auswirkungen auf die Umwelt und langfristig auf den Menschen. Welche genau, weiß aber noch niemand.
Autorin: Marlis Schaum, mit Material von dpa, AFPD, DAPD, Reuters
Redaktion: Michael Borgers