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Belgiens Ermittlungen voller Pannen

Andreas Noll, Brüssel30. März 2016

Kompetenzgerangel, verschlampte Hinweise, langsame Behörden: Die Aufarbeitung der Terroranschläge vom 22. März rückt den belgischen Staat in ein schlechtes Licht. Aus Brüssel berichtet Andreas Noll.

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Belgien Brüssel nach Terroranschlägen (Foto: DW/M. Hallam)
Bild: DW/M. Hallam

Kulturelle, finanzielle, aber auch politische Probleme behindern in Belgien den Kampf gegen den Terror. Mehr als ein Dutzend Ermittlungspannen haben Medien nach den Terroranschlägen aufgelistet. Einige davon zeichnen das Bild eines überforderten Staates.

Erdogans Warnung

Das Gesicht von Ibrahim El Bakraoui bekam die Öffentlichkeit bereits am Tag der Anschläge präsentiert. Auf dem heute allgegenwärtigen Bild einer Überwachungskamera im Brüsseler Flughafen sieht man die Selbstmordattentäter, wie sie ihre Bombenkoffer durch die Abflughalle schieben.

Dabei hätte El Bakraoui zu diesem Zeitpunkt längst im Gefängnis sitzen können, wie der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den belgischen Behörden einen Tag nach den Brüsseler Anschlägen vorgeworfen hat. Türkische Sicherheitskräfte hatten den 29 Jahre alten Belgier im vergangenen Juni an der türkisch-syrischen Grenze geschnappt, ihn als Dschihadisten identifiziert und wenige Tage später in einen Flieger nach Amsterdam gesetzt. Die türkischen Behörden hatten dem Terror-Verdächtigen zuvor freigestellt, in welches Land er ausreisen wolle.

Über die Festnahme El Bakraouis und seine Abschiebung am 14. Juli 2015 informierten die Türken jeweils den Verbindungsbeamten der Polizei in der belgischen Botschaft in Ankara. Nach Angaben des belgischen Innenministers Jan Jambon ließ der Beamte indes jeweils mehrere Tage verstreichen, bevor er die Nachricht an die zuständigen Stellen in Belgien weiterleitete. El Bakraoui konnte somit unbehelligt von den niederländischen Behörden in Amsterdam aus dem Flugzeug steigen und von dort in seine Heimat Brüssel weiterreisen.

Fahndungsfoto der Belgien El Bakraoui vom Brüsseler Flughafen (Foto: Reuters)
Überwachungsaufnahme vom Flughafen: die Brüder El BakraouiBild: picture-alliance/rtn-radio tele nord

Während der Verbindungsbeamte ein paar Tage verstreichen ließ, brauchte seine vorgesetzte Behörde gleich mehrere Monate, um El Bakraoui als möglichen Terroristen zu identifizieren. Erst am 12. Januar 2016 erschien der Name des Belgiers in der "Gefährderliste". Am 16. März machten dann auch US-amerikanische Sicherheitsdienste in einem Schreiben an die Niederländer auf die Gefahr durch die Brüder El Bakraoui aufmerksam.

Die Grenzbeamten auf dem Amsterdamer Flughafen hätten El Bakraoui bei schnellerer Reaktion der Behörden aber nicht nur als mutmaßlichen Terroristen identifizieren können, sondern auch als flüchtigen Straftäter. Ein belgisches Gericht hatte den Mann mit marokkanischen Wurzeln 2010 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil er an einem Raubüberfall beteiligt gewesen war und beim anschließenden Fluchtversuch einen Polizisten mit einer Kalaschnikow angeschossen hatte. Zwar wurde El Bakraoui im Herbst 2014 auf Bewährung aus der Haft entlassen, offenbar gegen den Rat der Gefängnisleitung, doch schon im Frühjahr 2015 verstieß er gegen mehrere Bewährungsauflagen und tauchte schließlich unter. Aufgehoben wurde seine Bewährung von der Justiz aber erst Ende August 2015.

"Belgischer Polizei-Krieg"

Salah Abdeslam gilt als der einzig überlebende Attentäter der Terroranschläge vom 13. November in Paris. Entsprechend fieberhaft fahndeten Sicherheitsbehörden in ganz Europa monatelang nach dem 26 Jahre alten Brüsseler mit marokkanischen Wurzeln. Eine Nachfrage bei der Polizei im 30 Kilometer nördlich von Brüssel gelegenen Mechelen hätte die Ermittler allerdings schon im vergangenen Dezember auf die richtige Fährte bringen können. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Kommissariat von Mechelen einen präzisen Tipp aus dem Umfeld Abdeslams bekommen. Die Adresse in Molenbeek, bei der eine Spezialeinheit ihn am 18. März schließlich festnehmen konnte, war somit schon seit Dezember 2015 aktenkundig.

Mit einem "internen Fehler" bei der Datenverarbeitung erklärt der Polizeipräsident von Mechelen in der Rückschau diese schwere Panne, die nun ein unabhängiger Ermittler vollständig aufklären soll. Die Oppositionsführerin im belgischen Parlament, Laurette Onkelinx, vermutet dagegen System hinter dem stockenden Datenfluss zwischen den rivalisierenden Polizeidienststellen im föderalen Belgien. Sie erklärt die Panne mit einem "Krieg im Polizei-Apparat".

Porträt Attentäter Ibrahim El Bakraoui (Foto: Reuters)
Von der Türkei wegen Terrorgefahr ausgewiesen, in Amsterdam problemlos eingereist: Ibrahim El BakraouiBild: Reuters/Haberturk newspaper

Bomben-Labor mitten in Brüssel

In vielen ausländischen Medien gilt der Stadtteil Molenbeek als Brutstätte des Terrors. Durch die Anschläge in Brüssel ist nun auch ein weiterer Ort in die Schlagzeilen geraten: das nördlich der Brüsseler Innenstadt gelegene Schaerbeek. Unmittelbar nach den Anschlägen in Paris konnte sich der Hauptverdächtige Salah Abdeslam dort in der Rue Henri Bergé mehrere Wochen lang verstecken.

Auch bei der Vorbereitung der Brüsseler Terroranschläge spielte Schaerbeek eine Schlüsselrolle. In der Rue Max Roos Nr. 4 mischten die Attentäter den Sprengstoff: in der einzigen bewohnten Etage des Eckhauses, das nach einem Eigentümerwechsel renoviert wurde. Bei der Durchsuchung der Wohnung stießen die Ermittler auf 15 Kilogramm fertigen Sprengstoff und mehrere Zünder - 150 Liter Aceton und 30 Liter Wasserstoffperoxid lieferten zudem Hinweise, dass die Attentäter noch weitere Anschläge geplant hatten.

Festnahme von Salah Abedeslam in Molenbeek (Foto: AP)
Festnahme von Salah Abdeslam am 18. März - Hinweise auf den Aufenthaltsort des Attentäters gab es schon Wochen vorherBild: picture-alliance/AP Photo/Uncredited

Warum der extrem gefährliche und geruchsintensive Bau der TATP-Bomben die Behörden nicht auf den Plan gerufen hat, ist bis heute ungeklärt. Zumal ein Nachbar die Polizei über ungewöhnliche Aktivitäten in der obersten Etage informiert haben will. Beamte seien diesem Hinweis auch nachgegangen, erklärte der neue Eigentümer des Hauses gegenüber Medien, aber die Wohnung aufgesucht haben sie wohl nicht.

Ein bestimmtes Gesetz gilt als Symbol für die Probleme Belgiens im Kampf gegen den Terror: Zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr morgens dürfen bislang in Belgien keine Hausdurchsuchungen erfolgen. Das belgische Parlament hat diese Regelung nun am Dienstag gekippt. Dass die belgischen Behörden auf die terroristische Bedrohung unzureichend vorbereitet sind, lässt auch ein weiteres Detail erahnen. Die Laptops der Attentäter wurden nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters in die USA geschickt. Die US-Bundespolizei FBI soll die darauf befindlichen Informationen auswerten.