Ernesto Cardenal: "Ortega muss abtreten"
26. März 2019"Ich fühle mich sehr wohl. Ich habe nur nachts ein wenig Husten, aber nichts Ernstes. Es muss wohl mit dem Alter zu tun haben." Ernesto Cardenal sitzt neben einem rustikalen Schreibtisch in einem asketisch eingerichteten Raum seines Hauses in Managua, der Hauptstadt seiner Heimat Nicaragua. Er trägt ein weißes Bauernhemd, ausgebeulte Jeans und seine schwarze Baskenmütze auf der grauen Mähne. So kennt man ihn.
Neben seinem breiten Ledersessel ein Krankenhausbett. Drei Krankenschwestern betreuen den 94-Jährigen rund um die Uhr, helfen ihm bei Lesungen und erinnern ihn daran, seine Medizin zu nehmen. Rund zwei Wochen verbrachte er kürzlich mit einer Niereninfektion im Krankenhaus, viele Anhänger fürchteten um sein Leben. Neben dem Bett hängt eine blaue Hängematte: sein bevorzugter Ort zum Nachdenken und Entspannen, sagt er. Eine kleine, alte Schreibmaschine steht einsatzbereit auf dem Schreibtisch.
Manifest gegen die Regierung
Der Befreiungstheologe Ernesto Cardenal ist der berühmteste lebende Dichter seines Landes, ausgezeichnet unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sein literarisches Werk wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt.
Wenn er an die politische Krise seines Landes denkt, trübt sich seine Stimmung. "Die Situation ist schlimmer geworden. Wir wollen hier raus. Wir wollen einen echten Wandel im Land, einen echten sozialen Wandel."
Vor fast einem Jahr hat er ein Manifest geschrieben, in der er die Repression der Regierung gegen die protestierenden Studenten anprangert. Ihre Proteste gegen die Regierung begannen am 18. April vergangenen Jahres und führten zu blutigen Straßenkämpfen. Cardenal sprach sich damals gegen einen Dialog der Opposition mit Präsident Daniel Ortega und seiner Ehefrau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, aus.
"Und ich bleibe dabei: Nein zum Dialog. Wir wollen einfach nur, dass das Präsidentenpaar geht. Es gibt nichts zu verhandeln", antwortet er auf die Frage nach den neuen Gesprächsrunden. Opposition und Regierung versuchen seit dem 27. Februar, die seit mehr als elf Monaten andauernde politische Krise zu lösen.
Wie würde der Schriftsteller Außenstehenden beschreiben, was in Nicaragua vor sich geht? Gar nicht, sagt er: "Sie sollten wissen, was hier los ist, ohne dass ich es ihnen sage. Ich habe nicht die Freiheit, es ihnen zu sagen. Hier gibt es keine Freiheit irgendwelcher Art. Auch für mich nicht."
Aber wie lässt sich die Krise in Nicaragua dann lösen? "Ich weiß es nicht", gibt Cardenal zu. "Aber das Volk weiß es und vor allem die jungen Leute, die bis jetzt erfolglos versucht haben, etwas zu verändern. Aber wir hoffen weiter. Es ist die Hoffnung, die uns am Leben hält."
Der Priester der Revolution
Ernesto Cardenal begann schon als Kind, Gedichte zu schreiben. Zu seinem ersten Gedicht über das Grab des bedeutenden nicaraguanischen Dichters Rubén Darío (1867-1916) inspirierte ihn sein Vater, der die Verse Daríos laut vorzulesen pflegte. "Ach, dieses Gedicht war etwas kindisch und primitiv. Es war nicht wirklich Poesie, aber ich nannte es Poesie", erinnert er sich mit einem Lächeln.
Mit der gleichen Leidenschaft, mit der er die Dichtkunst liebte, wandte er sich der Religion zu. 1965 zum Priester geweiht, gründete er wenig später eine christliche Kommune auf einer Insel im Nicaraguasee, die eine Keimzelle für Guerillagruppen im Kampf gegen den Diktator Anastasio Somoza wurde.
Während der sandinistischen Revolution war er Kulturminister seines Landes - in diese Zeit fällt auch die erste Regierung von Daniel Ortega von 1985 bis 1990. Aufgrund seines politischen Engagements suspendierte der Papst den Theologen 1984 von seinem Priesteramt.
Die päpstliche Bestrafung dauerte 35 Jahre, obwohl sich Ernesto Cardenal schon lange zuvor vom Sandinismus distanziert hatte. Ab 2007, nach Daniel Ortegas Rückkehr an die Macht, wandelte sich Cardenal zum unerbittlichen Kritiker dessen, was er "die neue Diktatur" nennt.
Mitte Februar 2019, als Cardenal sich gesundheitlich in einem kritischen Zustand befand, hob Papst Franziskus die Sanktion auf. Am selben Tag zelebrierte der Autor des "Evangeliums der Bauern von Solentiname" (1975) sichtlich geschwächt im Krankenhaus eine Messe zusammen mit dem päpstlichen Nuntius in Managua.
Bewunderung für Papst Franziskus
Ernesto Cardenal bringt Papst Franziskus viel Bewunderung entgegen. "Er ist wie ein Wunder, ein Segen Gottes: Er hat eine Revolution im Vatikan angestoßen und damit auch in der Kirche und in der Welt."
Trotzdem verfolgt auch Ernesto Cardenal die jüngsten Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der katholischen Kirche mit Entsetzen. Er führt sie auf den Zwang zum Zölibat zurück, das er für "unnatürlich" hält.
"Der heilige Paulus sagte, dass er das Zölibat gewählt habe, weil er es so wollte. Er hat aber niemanden gezwungen, so zu leben", argumentiert Cardenal. "Und die anderen Apostel haben auch nicht im Zölibat gelebt. Also sollte es kein obligatorisches Zölibat geben."