1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Erneuerbare sind Energieträger der Zukunft"

Gero Rueter17. Januar 2013

Wind- und Sonnenkraft übernehmen zunehmend die Energieversorgung - und das weltweit. Das zeige die Marktentwicklung der letzten Jahre, sagt die internationale Energieexpertin Christine Lins.

https://p.dw.com/p/17K4f
Generalsekretärin (Executiv Secretary) Christine Lins von REN21 (Renewable Energy Policy Network for the 21st Century) auf der Welt- Windenergie-Konferenz in Bonn im Juli 2012. Foto: WWEA/Andreas Birresborn (World Wind Energy Association)
Christine LinsBild: WWEA/Andreas Birresborn

Deutsche Welle: Frau Lins, als Generalsekretärin von REN21, dem Renewable Energy Policy Network for the 21st Century, haben Sie einen Bericht erstellt über die Zukunft der erneuerbaren Energien, den Global Futures Report. Was war das Ziel?

Christine Lins: Seit 2005 bringen wir eine Bestandsaufnahme von Markt-, Industrie- und Politikentwicklung im Bereich erneuerbare Energie heraus, den Global Status Report. Andererseits wird immer sehr, sehr viel über die Zukunft diskutiert. Und uns hat einfach mal interessiert, den Status des Denkens von Experten aus Wirtschaft und Politik zur Zukunft der Erneuerbaren Energieträger zu erheben, weil aus unserer Sicht ganz klar ist, dass die Zukunft für erneuerbare Energie davon abhängt, welche politischen Entscheidungen wir heute treffen.

Das Gespräch führte Gero Rueter

In ihrem Bericht zeigen Sie auf, dass in der Vergangenheit das Potenzial der erneuerbaren Energien stark unterschätzt wurde. Weltbank und Internationale Energieagentur, verschätzten sich in ihren Prognosen um den Faktor zehn. Das heißt, heute haben die erneuerbaren Energien einen zehn Mal höheren Anteil an der Energieversorgung als vorausgesagt. Wie sind solche Fehleinschätzungen zu erklären?

Ich glaube, dass wir vor 15, 20 Jahren einfach viel weniger Wissen über die einzelnen Technologien hatten. Und damals war unser Energiesystem natürlich auch noch sehr viel stärker von konventionellen, fossilen Energieträgern geprägt. Die Marktentwicklung in einzelnen Sektoren wurde wirklich - vor allem bei der Wind und Solar, Photovoltaik -, massiv unterschätzt.

Zum heutigen Zeitpunkt sind wir in der glücklichen Lage, dass viele dieser Prognosen in der Vergangenheit eben massiv übertroffen wurden. Das gibt eine gute Basis für Einschätzungen und Szenarien, die voraussagen, dass zur Mitte dieses Jahrhunderts, also bis 2050, ein Hauptteil der Energie aus erneuerbaren Energieträgern bereitgestellt werden kann. Da gibt es ganz unterschiedliche Szenarien - aber wir sprechen von einer Bandbreite zwischen 30 und 80 Prozent im Strombereich.

Szenarien mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien haben an Glaubwürdigkeit gewonnen und dienen auch als Basis für politische Entscheidungen. Wie ist dieser Wandel zu erklären?

Ganz einfach: Die Marktentwicklung der letzten Jahre hat klar aufgezeigt, dass erneuerbare Energien die Energieträger der Zukunft sind. In der Europäischen Union basieren zum Beispiel mehr als zwei Drittel der jährlich neu installierten Stromkraftwerke auf erneuerbaren Energien. Weltweit sind das mehr als die Hälfte. Das sind Werte, die zeigen, dass sich erneuerbare Energieträger im Energiemix etablieren. Und diese Entwicklung führt natürlich auch zu einer massiven Kostenreduktion.

Welche Länder werden von den Experten als Vorreiter bei der Energiewende, bei den erneuerbaren Technologien gesehen und welche Länder versuchen, in der Zukunft eine Führungsposition einzunehmen?

Deutschland ist in diesem Bereich ganz klar in einer Vorreiterrolle. Die Unterstützung für erneuerbare Energien in Deutschland hat auch sehr stark industriepolitische Komponenten, es werden Arbeitsplätze geschaffen et cetera. Wir haben auch im Jahr 2012 entsprechend der ersten voraussichtlichen Zahlen einen Rekordzuwachs zum Beispiel bei der Photovoltaik von über 7,3 Gigawatt allein in Deutschland.

Wir sehen aber auch, dass sich erneuerbare Energien mehr und mehr in Schwellen- und Entwicklungsländern ausbreiten. Mittlerweile gibt es über 120 Länder mit politischen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien, davon sind mehr als die Hälfte Entwicklungsländer. Und wir sehen, dass die Entwicklung ganz klar in Richtung Asien geht.

Offshore Windpark nähe Shanghai. Foto: ddp images/AP Photo
Offshore-Windpark nähe Shanghai. Asien, allen voran China, investiert zunehmend in Erneuerbare EnergienBild: ddp images/AP Photo

Welche erneuerbare Energien sind im Stromsektor besonders erfolgreich?

Wir müssen immer von dem Mix sprechen. Dabei handelt es sich nicht um eine Technologie, sondern um viele. Ganz klar werden in Zukunft Wind, Solar, sowohl Photovoltaik als auch solarthermische Kraftwerke, Biomasse, Wasserkraft, Geothermie und Gezeitenkraftwerke eine Rolle spielen. Es gibt viele Experten, die vor allem der Photovoltaik eine sehr sonnige Zukunft voraussagen.

Aber auch bei Windkraft wird es jetzt einen massiven Zuwachs geben, sowohl Onshore als auch Offshore. Man sieht ganz deutlich, dass sowohl in Europa als auch weltweit verschiedene Länder auf verschiedene Technologien setzen. Das ist auch das Schöne bei den Erneuerbaren, dass es sehr viele komplementäre Möglichkeiten gibt. Viele Länder setzen auch entsprechende Rahmenbedingungen, damit die bevorzugte Technologie zum Einsatz kommt.

In Ihrem Bericht betonen Sie, dass die Integration von erneuerbaren Energien weitreichende Vorplanungen erfordern. Was ist damit gemeint?

Derzeit wird der Strombedarf in der Welt zu ungefähr 25 Prozent von erneuerbaren Energieträgern abgedeckt. Wenn sich dieser Anteil bis zum Jahr 2050 auf 50, 80 oder 90 Prozent erhöht, wie viele Szenarien zeigen, dann bedarf es entsprechender Integration in bestehende Netze und in die bestehende Infrastruktur, um die vielfach dezentrale Energiegewinnung auch wirklich bewältigen zu können. Aus diesem Grund gibt es ja auch zum Beispiel in Europa eine massive Diskussion über eine gemeinsame Infrastruktur. Es bedarf hier gesamteuropäischer Lösungen über die nationalen Grenzen hinweg.

Auf den Energiemärkten wird es in den nächsten Jahrzehnten starke Veränderungen mit dem Eintritt der erneuerbaren Energien geben. Was bedeutet das für die Zukunft der alten Energieversorger? Kollaps oder Anpassung?

Ich glaube, die traditionellen Energieversorger müssen sich einfach umstellen. Die Unternehmen müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Da kommt es zu einer Umstellung - und die wird von den großen Energieversorgern teilweise mit Bauchweh gesehen. Aber es gibt auch immer mehr Beispiele, wo sich Energieversorger umstellen und auf erneuerbare Energie setzen. Auch hier zeigt der Global Futures Report auf, dass es Möglichkeiten gibt, um erneuerbare Energie auch gewinnbringend in Portfolios von traditionellen Energieunternehmen einzubauen.

Sie zeigen in Ihrem Bericht, dass viele Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt sehr ehrgeizig bei der Energiewende sind. Warum?

Viele Städte sind weit ambitionierter, als die nationalen Vorgaben fordern. Ich glaube, das drückt den Wunsch der Bürger nach einer nachhaltigen Energieversorgung aus, das drückt auch den hohen Zuspruch der Menschen zu erneuerbaren Energieträgern aus. Städte, die nahe am Konsumenten sind, reflektieren das oft viel deutlicher als die nationale Politik.

Welchen Vorteil haben Städte von mehr Energieeffizienz, umweltfreundlichem Transport und erneuerbaren Energien?

Sie werden unabhängiger von Energieimporten, schaffen lokale Arbeitsplätze und - ganz klar - das trägt zum Umweltschutz bei.

Übersichtsaufnahme von Kopenhagen, Dänemark. Foto: Fotolia/Torsten Rauhut #26823140
Städte wie Kopenhagen sind besonders engagiert bei der EnergiewendeBild: Fotolia/Torsten Rauhut

Die erneuerbaren Energien wachsen zum Teil schneller als gedacht. Brauchen denn die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren dann noch politische Unterstützung?

Die politische Unterstützung ist aus meiner Sicht in vielen Märkten noch notwendig, um Erneuerbare voranzubringen. In vielen Teilen der Welt geht es jetzt darum, entsprechende Märkte zu entwickeln, entsprechende Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien noch zu schaffen. Da ist aus meiner Sicht noch sehr viel zu tun, um wirklich eine Dynamik, so wie wir sie in Deutschland haben, in anderen Märkten anzustoßen und zu initiieren.

Deutschland ist hier sicherlich ein Vorreiterland, in dem man zeigt, was Politik und Wirtschaft gemeinsam entwickeln können. Hier gehen die Erneuerbaren ganz klar in eine Richtung, in der die politische Unterstützung sicherlich für bestimmte Technologien zurückgefahren werden kann.

Die Dynamik ist bei den erneuerbaren Energien gewaltig, die Technik wird immer ausgereifter und die Kosten sinken. Allerdings fehlt es oft an nötigem Wissen und ausgebildetem Personal. Gibt es auch hier eine Prognose von Ihnen, wann sich diese Wissenslücke schließt?

Ich würde vorhersagen, dass in den nächsten Jahrzehnten sicherlich noch sehr viel Informationsbedarf da ist. Gerade auch politische Entscheidungsträger müssen noch viel mehr über die Vorteile von erneuerbaren Energieträgern informiert werden. Diesbezüglich arbeiten wir auch eng mit der internationalen Energieagentur (IRENA) in Abu Dhabi zusammen, um den Informationsbedarf der Regierungen in der Welt zu decken.

Aber ganz klar zeigen die Interviews im Global Futures Report auch auf, dass die technischen Fragen uns nicht im Weg stehen, um einen großen Anteil an erneuerbaren Energien weltweit hinzubekommen. Eher behindert uns der politische Wille und fehlende Rahmenbedingungen, um die erneuerbare Energieversorgung von morgen zu ermöglichen.

Christine Lins ist Generalsekretärin von REN21 in Paris, dem Renewable Energy Policy Network for the 21st Century. REN21 dokumentiert die globale Entwicklung der erneuerbaren Energien und veröffentlicht jährlich den Global Status Report. Anfang Januar 2013 hat REN21 erstmalig auch einen Zukunftsbericht über die Erneuerbaren Energien herausgegeben, den Global Future Report Renewables.