Der Meister der Komödie
11. August 2010Es ist gespenstisch still im Kino. Oder besser gesagt: stumm. Kein Ton ist zu hören, nur die Lacher und Reaktionen des Publikums. Gezeigt werden Filme aus den frühen Jahren von Ernst Lubitsch. Im Original, ohne die aufwendigen Filmmusiken, die damals zum Teil punktgenau komponiert und live aufgeführt wurden.
Eigentlich sollte er Stoffhändler werden
Ernst Lubitsch wurde 1892 in Berlin geboren. Sein Vater war ein jüdischer Damenschneider und eigentlich wäre es Lubitschs vorbestimmter Lebensweg gewesen, Karriere als Stoffhändler zu machen. Doch sein Drang zum Spielen war zu groß. Er arbeitete tagsüber und nahm abends Schauspielunterricht, spielte in frühen Tonfilmen und begann Drehbücher zu schreiben. Und schon bald war er einer der großen Regisseure des Landes.
Insgesamt dreht Lubitsch rund 70 Filme, mehr als 50 werden im Rahmen der Retrospektive in Locarno gezeigt, der Rest gilt als verschollen. Die großen Meisterwerke hat man alle zusammengetragen: aus dem Archiv des Filmmuseums in München, aus der Cinémathèque Française in Paris oder wo die Filme sonst noch lagern. In der Stummfilmzeit gab es keine Sprachbarrieren, immer wieder tauchen Filmkopien an allen möglichen Orten in der ganzen Welt auf.
Auf nach Hollywood
"Das Weib des Pharao" war dar letzte und sicher opulenteste historische Kostümfilm, den Lubitsch in Deutschland drehte. Die Ausstattung und Sets waren aufwendig. Sphinxen und Schatzkammern wurden nachgebaut und tausende von Statisten engagiert, die sich – verkleidet als Äthiopier und Ägypter - heftige Kampszenen lieferten. Im kollektiven Filmgedächtnis hat sich Ernst Lubitsch allerdings weniger durch die stummen Komödien, Kammerspiele oder melodramatischen Historienfilme aus der deutschen Stummfilmära verankert, sondern durch seine Arbeit in den Vereinigten Staaten, wo er quasi zum Erfinder der romantischen Komödie wurde. Er fasste Fuß in Hollywood und schaffte den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm so spielerisch und leicht wie kaum ein anderer Regisseur.
Das ewige Regisseursrätsel: Wie hätte Lubitsch es gemacht?
Lubitsch arbeitete mit den großen Schauspielern seiner Zeit. In Deutschland drehte er mit Emil Jannings und Pola Negri, in Amerika mit Greta Garbo oder Gary Cooper. Auch Ikonen wie Marlene Dietrich oder Claudette Colbert standen vor seiner Kamera. Heute gilt Lubitsch als einer der ganz wenigen, die es geschafft haben, Filme für das große Publikum zu drehen und gleichzeitig Kritik und Kollegen zu beeindrucken. Zu seinen Bewunderern gehören die Großen der Kinozunft: von Orson Welles bis Alfred Hitchcock. Am nächsten kam dem ganz speziellen "Lubitsch-Touch" wohl Billy Wilder, der in seinem Büro einen Zettel hängen hatte, der ihn täglich mit folgender Frage konfrontierte: Wie hätte Lubitsch es gemacht? Und auch wenn Wilder das Erfolgsrezept nie ganz lüften konnte, eine Zutat ist sicherlich die Tatsache, dass Ernst Lubitsch sein Publikum zu jeder Zeit seiner Karriere ernst nahm, es nie unterschätzte. Seine Filme sind gleichermaßen subtil und intellektuell wie massentauglich.
Filme wie nur Lubitsch sie durch die Zensur brachte
Eine Retrospektive, wie sie das Festival in Locarno zeigt, ist heutzutage eine der wenigen Möglichkeiten, das Gesamtwerk des Kinomeisters, der Lubitsch zweifelsohne war, auf der großen Leinwand zu sehen. Selbst einzelne Minuten nicht mehr vollständig erhaltener früher Werke werden gezeigt. Joseph McBride, der Kurator der Lubitsch-Retrospektive, weiß, was das für Kinofans bedeutet. Auch Lubitschs einzige Tochter ist angereist, um dabei zu sein, wenn "To Be or Not to Be" gezeigt wird. Ein Film um Freiheit und Widerstand, wie nur Lubitsch ihn im Jahr 1942 machen konnte. Ein Theaterensemble in Polen spielt eine Farce über Hitler, gleichzeitig marschieren die Deutschen ein. Sein oder Nichtsein ist hier die Frage, Widerstand leisten oder sich ergeben.
Modern und oft ihrer Zeit voraus waren auch Lubitschs weniger politische Komödien. In "Design for Living" geht es um eine für die damalige Zeit unerhörte Dreiecksgeschichte, in deren Mitte eine Frau steht. Miriam Hopkins ist das Ziel der Begierde von gleich zwei Männern – doch sie kann sich nicht entscheiden und liebt einfach beide. Das war vor allem im puritanischen Amerika 1933 fast ein Anschlag auf die gängige Moral. Lubitschs Bekenntnis hingegen hieß: Freiheit, Toleranz und Humor. Oder wie Kurator McBride es formuliert: "Wir brauchen einfach mehr Lubitsch."
Autorin: Renate Heilmeier
Redaktion: Petra Lambeck