"Deutschland kann auf mich zählen!"
8. April 2020Ioan T. ist verunsichert. Der Anruf aus Deutschland erreicht ihn kurz nachdem die rumänische Regierung eine Sondergenehmigung erteilt hat. Am Samstag, den 4. April, verkündete Innenminister Marcel Vela in Bukarest, dass Saisonarbeitern - trotz der Corona-Krise - die Ausreise mit dem Flugzeug ins Ausland erlaubt sei.
"Keine schöne Erfahrung"
Ioan T. hatte vor einem Jahr zum ersten Mal in Deutschland, in der Nähe von Münster, auf einer Spargelfarm gearbeitet. Nach fast drei Monaten intensiver Arbeit, 10 Stunden am Tag, meistens 7 Tage die Woche, kehrte er mit weniger als 1.850 Euro nach Rumänien zurück. Von seinem Lohn waren ihm über 1.000 Euro für Miete, Verpflegung und andere Nebenkosten abgezogen worden.
"Es war keine schöne Erfahrung", erzählt Ioan der DW. Und er war nicht alleine: auf dem Bauernhof hatten fast 120 Arbeitskräfte, die überwiegende Mehrheit Rumänen und ein paar Bulgaren, Spargel geerntet. Es war Hochsaison auf den Feldern, die meisten konnten kaum Deutsch und alle hatten einem Mittelsmann vertraut. Genau dem Mittelsmann, der jetzt anrief und mit besseren Konditionen warb: "Die brauchen uns dringend, werden sogar Flüge nur für uns organisieren".
Es fehlen 300.000 Arbeitskräfte
In Deutschland werden die Erntehelfer tatsächlich dringend gebraucht. Insgesamt fehlen den Landwirten rund 300.000 Arbeitskräfte. Um die Corona-Pandemie einzudämmen, hatte die Berliner Bundesregierung die Einreise für Erntehelfer aus anderen Ländern verboten. Daraufhin hatten die meisten Bauern auf Erntehelfer aus der heimischen Region gehofft. Der Bundesverband der Maschinenringe hatte zusammen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Online-Plattform daslandhilft.de gestartet. Dort können Landwirte in nur ein paar Schritten ihre Erntehelfer-Stellenangebote online stellen.
Nach Angaben von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat es schon nach kurzer Zeit einen Ansturm auf die Jobbörse für Erntehelfer gegeben. 16.000 Menschen hätten sich gemeldet, die in der Landwirtschaft aushelfen wollten. Sogar Fußballer waren dabei. Aber ohne oder mit wenig Erfahrung kann man vor allem bei der Spargelernte nicht richtig helfen.
Sondergenehmigung und Sonderflüge für Erntehelfer
Anfang April kam dann die Erleichterung für die deutschen Landwirte. Um drohende Ernteausfälle zu verhindern, sollen im April und im Mai jeweils 40.000 Saisonarbeiter aus Osteuropa nach Deutschland einreisen dürfen. Darauf haben sich Ministerin Klöckner (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am 2. April verständigt.
Eine sehr willkommene Entscheidung, wie auch der Präsident des Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hervorhob: "Wir begrüßen sehr, dass sich die Bundesregierung geeinigt hat, zusätzlichen Saisonarbeitskräften aus Osteuropa die Einreise zu ermöglichen", erklärte er. In dem Konzept sei die Initiative des Deutschen Bauernverbandes und des Gesamtverbandes der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände berücksichtigt worden. Jetzt soll es an die Umsetzung gehen: "Unsere Betriebe werden die Leitlinien und Vorgaben des Robert Koch-Instituts strikt einhalten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Diese Regelung hilft uns, arbeitsfähig zu bleiben", so Rukwied.
Nun hat auch die Fluggesellschaft Eurowings angekündigt, gemeinsam mit deutschen Bauernverbänden Zehntausende Erntehelfer nach Deutschland zu holen. Die Lufthansa-Tochter hat dazu bereits eine "Erntehelfer-Website" eingerichtet, um die Saisonarbeitskräfte an ihre Einsatzorte zu bringen. Die ersten Sonderflüge, zum Beispiel von Düsseldorf ins rumänische Cluj (Klausenburg) und zurück oder auch von Cluj nach Berlin haben bereits an diesem Donnerstag stattgefunden.
"Faktische Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit"
Auf deutschem Boden gelandet, erwarten die Arbeitskräfte dann allerdings strikte Auflagen: Wer neu anreist, muss in den ersten 14 Tagen getrennt von sonstigen Beschäftigten leben und arbeiten, das Betriebsgelände darf nicht verlassen werden. Zimmer dürfen beispielsweise nur mit halber Kapazität belegt werden. Besucher sind auf dem Betriebsgelände verboten. Wäsche und Geschirr müssen bei mindestens 60 Grad gereinigt werden. Die Regierung nennt dies eine "faktische Quarantäne bei gleichzeitiger Arbeitsmöglichkeit". Auch bei der Unterbringung sind verschärfte Regeln einzuhalten, die auf Leitlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI) zurückgehen.
In Rumänien bringt Ioan T. seine Papiere in Ordnung und packt ein paar Sachen ein. Frau und Kinder sind gut versorgt, auf dem Lande kann man noch gut überleben mit Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten. Er selbst kann aber zu Hause nicht mehr arbeiten gehen, die Auflagen sind sehr streng, nachdem die rumänische Regierung den Notstand verlängert hat. Sein Arbeitgeber in Cluj hat ihn kurzfristig entlassen. Der Mittelsmann aus Deutschland hat ihm noch einmal versichert, dass er diesmal richtig bezahlt wird. Es gibt sogar online Plattformen (www.saisonarbeit-in-deutschland.de und agrarjobbörse.de), auf denen man sich selber den Arbeitgeber aussuchen kann. Hätte er bloß ein bisschen Deutsch gelernt!
"Die Zeiten ändern sich", sagt Ioan T. und ruft den Mittelsmann an. Nach Ostern kann man in Deutschland auf ihn zählen.