Spargelstechen unter Corona-Bedingungen
17. März 2021Noch ist es ruhig auf dem Spargelhof Hensgens in Selfkant, kurz vor der niederländischen Grenze. Der Wind zerrt an den schwarzen Folien, die auf den Spargelfeldern in langen Bahnen über die Erdhügel gespannt sind, um die Sonnenwärme einzufangen. Gleich nebenan wogt heller Vliesstoff als nächtlicher Frostschutz über den Erdbeerpflanzen und lässt die Felder wie eine endlose Wasserfläche aussehen.
Vor einer Halle türmen ein paar Arbeiter mit Erde gefüllte Pflanzkübel auf. "Wir sind im Moment erst 15 Leute hier", sagt Landwirt Chris Hensgens, der den Familienbetrieb zusammen mit seinem Bruder Arne und ihrem Vater führt, "aber in Spitzenzeiten haben wir 150 Arbeitskräfte gleichzeitig auf dem Hof." Je nach Wetterlage beginnt die Spargelernte Ende März oder Anfang April. Es folgen Erdbeeren, Heidelbeeren, Zwiebeln, Kartoffeln, Zuckerrüben, Weizen und Mais.
Aus Angst vor Corona zurück nach Rumänien
Für die Landwirte ist es bereits die zweite Saison in der Corona-Pandemie. Auch wenn sie diesmal vorbereitet sind, blicken sie "ein bisschen angespannt" auf die Saison. "Man weiß in diesem Jahr vielleicht ein bisschen mehr, was auf einen zukommt", sagt der 32-jährige Chris Hensgens. "Letztes Jahr wussten wir im März gar nichts." Selfkant liegt im Kreis Heinsberg, dem ersten Corona-Hotspot in Deutschland. Als der Ausbruch bekannt wurde, seien von den zehn Arbeitern, die zu der Zeit schon auf dem Hof waren, drei sofort ins Auto gestiegen und aus Angst nach Rumänien zurückgefahren.
Im anschließenden Lockdown sollten zunächst gar keine Erntehelfer nach Deutschland einreisen dürfen, dann wurde den Landwirten erlaubt, Arbeitskräfte auf eigene Kosten einfliegen lassen. Auch die Hensgens kauften für 10.000 Euro Tickets. "Einige sind verfallen, weil unsere rumänischen Arbeiter nicht wussten, wo der Flughafen ist und wie sie dahin kommen. Normalerweise werden sie mit Kleinbussen bei ihnen zuhause abgeholt und zu uns gebracht", so Chris Hensgens.
Studenten auf Klassenfahrt
Der Spargelhof ist der zweitgrößte in der Region. Ohne Saisonarbeitskräfte könnten die 250 Hektar Land nicht bewirtschaftet werden. Die meisten Helfer reisen aus Rumänien an, von Juli bis September kommen ukrainische Studenten dazu. Sie sind zwischen 18 und 25 Jahre alt und werden in der Ukraine mit dem Versprechen angeworben, in Deutschland in ihrer Freizeit auch etwas erleben zu können.
"Vor der Corona-Pandemie fuhren die Studenten am Wochenende gerne nach Aachen, Köln oder Amsterdam", erzählt Chris Hensgens. "Wir können sie nicht einsperren, aber jetzt sollen sie möglichst auf dem Hof bleiben und auch voneinander Abstand halten." Das sei oft nur schwer zu vermitteln. "Manchmal sieht es so aus, als wären die auf einer Klassenfahrt. Nach Feierabend wird gerne etwas getrunken, und nach zwei Bier wird es dann schwierig mit den Corona-Regeln."
Vollverpflegung aus der Restaurant-Küche
Die strengen Hygieneauflagen einzuhalten ist für alle auf dem Hof eine logistische Herausforderung. In den langgestreckten Wohngebäuden, die mit Vierbettzimmern, großen Gemeinschaftsküchen, Aufenthalts- und Sanitärbereichen ausgestattet sind, kann nur noch ein Teil der Erntehelfer untergebracht werden. Für die anderen werden Wohncontainer mit zusätzlichen Sanitärräumen gemietet und aufgestellt. 30.000 Euro kostet das. Weitere 9000 Euro müssen für die Putzkräfte ausgegeben werden, die regelmäßig die Waschräume, Gänge und Küchen desinfizieren.
Da die Erntehelfer aus Infektionsschutzgründen nicht mehr selbst zum Einkaufen fahren sollen und sich in den Küchen nur noch sieben Personen gleichzeitig aufhalten dürfen, haben die Hensgens das Mittagessen zentralisiert. "Unser Koch, der im Hof-Restaurant arbeitet, hat durch die Schließung nichts zu tun und kocht daher für die ganze Mannschaft", berichtet Arne Hensgens. Gegessen werden muss auf den Zimmern.
Einreise nur mit negativem Corona-Test
Auch in diesem Jahr sollen die Arbeiter wieder in feste Gruppen eingeteilt werden, die zusammen arbeiten und wohnen. Es gibt einen Plan, der regelt, wann welche Gruppe auf die Felder geht, wann sie zurückkommt, und es gibt Absperrgitter für die Wegführung. "Wenn sich auch in den Fluren möglichst wenige Leute begegnen, hilft das ja auch ein wenig", sagt der 25-jährige Agraringenieur. Bei der Einreise nach Deutschland müssen die Arbeiter einen negativen Corona-Test vorweisen, ein paar Tage später werden sie auf dem Hof noch einmal getestet.
Die Brüder gehen fest davon aus, dass sie ihre Helfer in diesem Jahr regelmäßig testen lassen müssen. Möglicherweise auch auf eigene Kosten. Als im vergangenen Jahr in Bayern auf Erdbeerhöfen Infektionen bekannt wurden, haben sie alle ihre Arbeiter einmal testen lassen. 7000 Euro hat das gekostet. "Dabei ist eine unserer Helferinnen positiv getestet worden", erzählt Chris Hensgens. Zum Glück habe sie allein in einem Container-Zimmer gewohnt und dort 14 Tage in Quarantäne bleiben können. "Sie wurde von uns durchbezahlt, die Kosten sollen wir vom Staat ersetzt bekommen", berichtet der Landwirt. "Aber auf das Geld warten wir bis heute."
Erntehelfer sind nicht gesetzlich versichert
Was wäre passiert, wenn die Erntehelferin ernsthaft erkrankt wäre? "Dann wäre sie ins Krankenhaus gekommen, denn wir haben für alle unsere Arbeitskräfte eine private Krankenversicherung abgeschlossen", sagt Arne Hensgens. Selbstverständlich ist das nicht. In Deutschland sind Erntehelfer, die nicht länger als 70 Tage pro Jahr im Einsatz sind, von der Sozialversicherungspflicht befreit. Weder die Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber müssen in dieser Zeit Beiträge zur ansonsten gesetzlich vorgeschriebenen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bezahlen.
2020 galt die Befreiung sogar für 115 Tage, damit die Helfer weniger häufig wechseln mussten. Eine Regelung, die viele landwirtschaftliche Betriebe auch in diesem Jahr fordern. Doch das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium sperrt sich. "Jede auch nur zeitweise geltende Erweiterung der Zeitgrenzen ist mit dem notwendigen sozialen Schutz der Beschäftigten abzuwägen", heißt es auf Nachfrage der DW.
Arbeiten in prekären Verhältnissen
Unterstützung findet das Ministerium bei der Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt, die fordert, dass die Erntehelfer grundsätzlich vom ersten Tag an sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden sollten. Ein großer Teil der bundesweit rund 350.000 Saisonbeschäftigten in der Landwirtschaft arbeite zu prekären Bedingungen. Gerade osteuropäische Beschäftigte litten teils unter "unhaltbaren Zuständen" und müssten nicht selten bei "karger Entlohnung" 13 Stunden pro Tag arbeiten, so die Gewerkschaft.
Auf dem Spargelhof Hensgens dauert ein Arbeitstag acht bis neun Stunden, bezahlt wird der gesetzliche Mindestlohn von 9,50 pro Stunde plus eine Prämie, abhängig von der persönlichen Erntemenge. Davon müssen 200 Euro für die An- und Abreise bezahlt werden und neun Euro täglich für die Unterkunft. "Je nach Leistung können unsere Leute bis zu 2500 pro Monat verdienen", rechnet Arne Hensgens vor. "Man sagt immer, Erdbeeren pflücken, das kann jeder. Aber das ist nicht so. Für uns sind das Fachkräfte und wir tun einiges dafür, sie zu bekommen und dann auch zu halten."