Erste Parlamentssitzung seit Jahrzehnten in Afghanistan
19. Dezember 2005Im Beisein ausländischer Gäste wie US-Vizepräsident Dick Cheney legten die Abgeordneten vor Präsident Hamid Karsai ihren Eid ab. Sie schworen, den Islam, die Verfassung und die Gesetze des Landes zu respektieren.
"Schritt in Richtung Wiederaufbau"
Der 91 Jahre alte frühere König Sahir Schah, der laut Verfassung den Titel "Vater der Nation" trägt, betonte: "Ich bin Allah dankbar, dass ich heute an der Zeremonie teilnehme, die nach Jahrzehnten des Kampfes einen Schritt in Richtung des Wiederaufbaus Afghanistans markiert." Sein Cousin hatte ihn 1973 gestürzt und das letzte afghanische Parlament aufgelöst.
Vor der Vereidigung der neuen Parlamentarier wurde aus dem Koran rezitiert und die Nationalhymne gespielt. Für das Unterhaus (Wolesi Dschirga) mit 249 Abgeordneten und das Oberhaus (Meschrano Dschirga) mit 102 Sitzen wurden Übergangssprecher bestimmt, die ihr Amt bis zu einer Vorsitzendenwahl ausüben sollen.
Kampfansage an Drogen und Terrorismus
Karsai sagte bei der Eröffnungssitzung dem Terrorismus und dem Drogenhandel im Land den Kampf an. Der Präsident rief seine Landsleute dazu auf, gegen den Anbau von Schlafmohn vorzugehen. "Wir haben der internationalen Gemeinschaft eine klare Zusage gegeben, den Drogenhandel aus Afghanistan zu verbannen", sagte er. Afghanistan ist der weltweit größte Produzent von Rohopium, dem Grundstoff für Heroin.
Das neue Parlament ist Teil eines von den Vereinten Nationen unterstützten Demokratisierungsplans für das Land. Mit der Konstituierung des Gremiums sind große Hoffnungen auf eine weitere Stabilisierung des Landes verbunden.
Umstrittene Parlamentarier
Da Parteien waren nicht zur Parlamentswahl zugelassen waren, sind alle Parlamentarier Einzelkandidaten. Im Unterhaus sind gemäß den für sie reservierten Sitzen 68 Frauen vertreten. Unter den Abgeordneten sind aber auch Mudschaheddin, die gegen die russischen Besatzer kämpften, Funktionäre des damals von Moskau gestützten Kabuler Regimes und Kriegsherren. Frühere Anhänger der radikalislamischen Taliban wurden ebenfalls gewählt. Menschenrechtsgruppen mahnten angesichts der Zusammensetzung des Parlaments die Einhaltung demokratischer Werte an. Human Rights Watch zufolge sind bis zu 60 Prozent der Abgeordneten Kriegsfürsten oder deren Anhänger. Das Verzeichnis der Parlamentarier lese sich wie eine Auflistung von Protagonisten der blutigen Vergangenheit des Landes.
Das pakistanische Außenministerium äußerte sich zuversichtlich, dass für Afghanistan mit der Eröffnung des Parlaments eine neue Ära der Stabilität anbreche.
Die Parlamentswahl am 18. September war die erste in Afghanistan seit 1969. Zuletzt hatte das afghanische Parlament 1973 getagt. Danach versank Afghanistan immer weiter im Chaos. Vor dem Sturz der Taliban Ende 2001 litten die Afghanen mehr als zwei Jahrzehnte lang unter Krieg und Bürgerkrieg. (mik)