Mit gemischten Gefühlen
6. August 2016Aus der Ferne wirkt so eine Eröffnungsfeier ein bisschen wie der Spielzeugpark Legoland: Viele kleine Figuren sind in eine bunte Landschaft gestellt und bewegen sich ein bisschen. Alles ganz nett, aber auch recht statisch. Aus der Nähe entfaltet so ein Event jedoch eine magische Kraft. Kein anderer Schluss bleibt übrig, wenn man der deutschen Bahnradfahrerin Mieke Kröger zuhört: "Einfach atemberaubend, unglaublich! Ich glaube, mein Gesicht sagt momentan alles." Das tat es wirklich. Kröger strahlte über das ganze Gesicht. Ihre Augen funkelten auch nach drei Stunden stehen und warten. Kröger schwärmte von der Atmosphäre im Innenraum des Maracana-Stadions, wo sich die Athleten aus aller Welt begegneten. "Wir hatten das Glück, die Feier ganz mitzuerleben, weil wir als deutsches Team früh einmarschiert sind. Das Highlight war am Ende die Fackel, die einfach wunderschön ist."
Das wilde Pindorama
Doch bevor am Ende das Licht anging, ging es zum Start der Feier erst einmal aus. Geplant, wohlgemerkt. Das Maracana verdunkelte sich, fahler, blauer Lichtschein fiel vom Stadiondach nach unten, und auf den Tribünen verwandelten Tausende Smartphone-Lichter das Maracana in einen funkelnden Sternenhimmel. Das Publikum auf den Rängen war von Anfang an Teil der Show. Spätestens ab der brasilianischen Hymne, die viele mit ganzer Stimmeskraft mitsangen, war die Stimmung da, wo sie sein sollte. Die Proteste kurz vor der Eröffnungsfeier waren plötzlich ganz weit weg.
Und dann kam das, was auf keiner Eröffnungsfeier mehr fehlen darf: Ein bildgewaltiger Galopp durch die Geschichte des Gastgeberlandes. Angefangen vom ebenso grünen wie wilden "Pindorama", dem Land der Palmen, das die europäischen Seefahrer bei ihrer "Entdeckung" des Kontinents vorfanden und erschlossen, über die Besiedelung und Nutzung der riesigen Flächen des heutigen Brasilien, hin zu weiteren Ankünften fremder Völker: der afrikanischen Sklaven, der Einwanderer aus Asien sowie arabischen Ländern. Sie alle machen Brasilien heute zu jenem bunten und kulturell vielfältigen Land, das eine einzigartige Integrationsgeschichte hinter sich hat - aber eigentlich auch immer noch mittendrin steckt. Danach mischten sich positive Motive wie die dampfende Modernisierung des Landes und die pulsierende Partystimmung in den Favelas mit nachdenklichen Elementen wie den Folgen des Klimawandels, etwa mit einer aufwändigen Visualisierung abschmelzender Polkappen und den Auswirkungen davon auf die Natur.
Der letzte Catwalk
Der Rest der Show bis zum Einlauf der Athleten ist schnell erzählt, weil wenig überraschend: Es wurde gefeiert und Samba getanzt, es wurde ein bisschen Pyrotechnik abgebrannt, es wurde bunt und poppig, und es wurde der wohl längste Catwalk der Geschichte bestaunt: Gisele Bündchens Gang durch das komplette Maracana zu den Klängen von "Girl of Ipanema" sorgte für Jubel auf den Rängen - auch weil dies ihr allerletzter Catwalk sein soll. Das Supermodel beendete vor den Augen der Welt ihre erfolgreiche Karriere als brasilianische Königin des Laufstegs.
Nach einer knappen Stunde war es dann so weit: die Athleten zogen ein. Angeführt wie immer von Griechenland, der Wiege der Olympischen Spiele, liefen sie die rund 11.400 Athleten dieser Spiele ein - zumindest jenee, die nicht wegen bevorstehender Wettkämpfe im Athletendorf geblieben waren. Begleitet von nicht enden wollenden Sambaklängen folgten weitere 206 Mannschaften, manche angeführt von prominenten Sportstars wie dem Spanier Rafael Nadal, dem Briten Andy Murray oder dem US-Amerikaner Michael Phelps, manche von Sportlern, die selbst langjährige Sportjournalisten nachschlagen mussten. Beeindruckend: Der große Jubel, mit dem die deutsche Mannschaft begrüßt wurde. Und das in dem Stadion, in dem vor zwei Jahren Mario Götze die DFB-Elf zum WM-Titel schoss. Die Brasilianer sind und bleiben eben echte Sportsleute. Selbst Erzrivale Argentinien wurde beklatscht. Noch lauter war hingegen der Applaus für die zwei Teams ohne Landesflagge: die Delegation der so genannten "unabhängigen" Athleten, die dieses Mal aus Kuwait stammen, das von den Spielen ausgeschlossen ist. Am lautesten war die Freude - abgesehen natürlich vom Jubel über das Team der Gastgeber - über das internationale Team der Flüchtlinge, das erstmals teilnimmt und mit zehn Athleten an den Start geht.
Späte Ehre für einen tragischen Helden
Ebenfalls emotional war dann die Eröffnung der Spiele - allerdings nicht im positiven Sinne. Als Interimspräsident Michel Temer die Spiele mit nur einem Satz eröffnete, war dieser kaum zu hören. Ein Pfeifkonzert übertönte seine Worte. Gegen Temer richtet sich der Zorn von weiten Teilen der Bevölkerung, weil er Bündnisse mit der bisherigen Opposition geschmiedet haben soll, um die Amtsenthebung der momentan suspendierten Präsidentin voranzutreiben. So verzichtete das IOC auch auf eine Rede des Staatsoberhauptes, was eigentlich zum Protokoll von Eröffnungsfeiern gehört.
Zum Abschluss gab es dann noch ein Happy End: Zwölf Jahre nachdem der brasilianische Marathonläufer Vanderlei de Lima bei den Spielen in Athen kurz vor dem Ziel von einem psychisch kranken Mann von der Strecke gedrängt und so einer sehr wahrscheinlichen Gold-Medaille beraubt wurde, durfte er das Olympische Feuer entzünden. Die späte Genugtuung für einen tragischen Sporthelden des Landes und der versöhnliche Abschluss eines bewegten Abends im Maracana.