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Es gibt einen Schlüssel zum Dialog

Constantin Schreiber und Hebatallah Ismail 14. Juli 2005

Muslimische Intellektuelle fordern, dass ein Hauptimpuls gegen fundamentalistisches Gedankengut von in Europa lebenden Muslimen ausgehen müsse. Sie sollten mehr Gehör finden, um eine differenzierte Debatte anzustoßen.

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Bild: AP

Ein weit verbreitetes Vorurteil in der arabisch-islamischen Welt lautet: Die Menschen im Westen - insbesondere aus Nationen, die sich am Irak-Krieg beteiligt haben - seien "moderne Kreuzritter" und wollten die islamische Welt als Ganzes schwächen oder unterdrücken. Umgekehrt gibt es ähnliche Ängste und Vorurteile: Wenn heute in

Berlin-Kreuzberg oder im Londoner East End ein Großteil der Menschen muslimisch ist, kommt bei manchen Europäern die stereotype Angst vor islamischer "Belagerung" oder "Überfremdung" hoch - entfernt erinnert das an die Ängste im 16. Jahrhundert, als die Türken mit ihren Truppen vor Wien standen.

Beides verdeutlicht: Der interkulturelle Dialog wird seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, seit den Feldzügen in Afghanistan und im Irak - und immer wieder neu verstärkt durch Anschläge wie jetzt in London - durch alte Feindbilder, tiefsitzende Ängste und Vorurteile belastet.

Wo bleibt der "Aufschrei der Aufrichtigen"?

Doch es kommt neue Bewegung in die transreligiöse und -kulturelle Kommunikation - und der Anstoß kommt diesmal von muslimischer Seite. So einfach die Botschaft, so beachtlich das Signal, denn es durchbricht die ausgrenzende Überzeugung unanfechtbarer, gottgegebener Richtigkeit - die es ja auf beiden Seiten gibt.

Immer mehr muslimische Denker in islamischen Ländern und in Europa fordern, dass ein Hauptimpuls gegen fundamentalistisches Gedankengut von den in Europa lebenden Muslimen ausgehen müsse. Ein Wortführer dieser neuen Bewegung ist der in Deutschland lebende kurdische Journalist Tariq Hamo, der gebürtig aus Syrien stammt. Er fordert einen "Aufschrei der Aufrichtigen" unter den Muslimen Europas. Hamo sieht bei ihnen den Schlüssel zu einem neuen Dialog. Doch auch wenn der Anstoß dazu von ihnen selbst kommen müsse, sei es an der Zeit, dass es auf beiden Seiten wieder mehr Bewegung gebe. Dazu gehöre durchaus auch mehr staatliche Härte gegen Fundamentalisten.

"Europa war lange ziemlich kompromissbereit gegenüber islamistischen Extremisten. Die Regierungen gaben ihnen Bewegungsfreiheit und Handlungsspielraum. Und das ist der Grund, warum sie ihre fundamentalistischen Ideen innerhalb der islamischen Gesellschaften Europas überhaupt so gut verbreiten konnten. Das trug auch dazu bei, dass sich die islamische Gesellschaften in Europa nicht integrieren konnten. Zum Beispiel der Marokkaner, der den niederländischen Regisseur Theo van Gogh ermordet hat: Der war ein sehr normaler in Europa lebender Mensch - bis er Kontakt mit den islamistischen Extremisten aufgenommen hatte. Von da an hat er sich verändert."

Tariq Hamo pflichtet westlichen Mitstreitern im interkulturellen Dialog bei, dass zugleich aber auch die Rahmenbedingungen für das Leben der Muslime in Europa verändert werden müssten.

"Der deutsche Autor Udo Ulfkotte schreibt in seinem Buch 'Der Krieg in unseren Städten' zu Recht, dass auch Europa die Verantwortung dafür trägt, wenn Muslime sich abkapseln und sich nicht integrieren wollen. Außerdem spielt die Arbeitslosigkeit unter den in Europa lebenden Muslime eine große Rolle, ebenso ihre Benachteiligung in der europäischen Gesellschaft. Das alles führt dazu, dass junge Muslime sich abschotten. In meiner kleinen Stadt hier in Deutschland sehe ich junge Muslime, die die Moscheen besuchen, und Prediger, die man als Ignoranten bezeichnen darf - weil sie einfach nichts über die deutsche Sprache und Kultur wissen. Diese Prediger kommen leider nur hierher, um destruktive extremistische Ideen zu verbreiten."

Ein Imageproblem?

Mit solchen provokanten Aussagen steht Tariq Hamo nicht alleine da. Auch andere muslimische Intellektuelle und Prominente wie der in Oslo lebende palästinensische Wissenschaftler Ahmad Abu-Matar fordern von Europas Muslimen klare Bekenntnisse gegen den Extremismus. Sie kritisieren, dass eine kleine Gruppe von Extremisten das öffentliche Image der Muslime in Europa präge. Dabei unterstütze die Mehrzahl von ihnen durchaus die gesellschaftspolitischen Systeme in Europa. Ein Problem sei aber, dass viele von ihnen in einer schwierigen Position seien. Einerseits fühlten sie sich von den westlichen Gesellschaften oft nicht ausreichend anerkannt. Zum anderen hätten sie oft Angst vor Repressionen durch Extremisten, die gerade in den so genannten Parallelgesellschaften beachtlichen Einfluss hätten, so Abu Matar.

"Die Anzahl radikaler Islamisten ist deutlich niedriger als die der moderaten Muslime, die Extremismus und Gewalt ablehnen. Allerdings wird der Einfluss kleiner extremistischer Gruppen in Europa immer größer und ihre Stimmen immer lauter. Der Grund dafür ist, dass diese kleinen Gruppen es sehr gut verstehen, die Gefühle der Menschen zu instrumentalisieren. Bei jedem kleinen oder großen Problem schieben sie immer die Schuld auf das ungelöste Palästina-Problem oder auf die Koalitionstruppen im Irak. Beides sind Themen, die Muslime wütend machen - hier finden Extremisten immer ein offenes Ohr. In der Herkunftsregion kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Die arabische Welt hat eine Analphabetisierungsrate von 65 Prozent. Das muss man sich mal vorstellen: 65 Prozent der Araber können ihren Namen weder lesen noch schreiben!"

Und mangelnde Bildung sei ein ähnlich gefährlicher Nährboden für Extremismus wie tiefsitzende Ängste und überlieferte Vorurteile. Abu Matar meint: In beiden Fällen sei es wichtig, dass positive Veränderungen auch von muslimischer Seite selbst angestoßen würden.