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Jeder für sich

Christoph Hasselbach15. August 2014

Die Beschlüsse der EU-Außenminister zum Irak beweisen, wie unentschlossen die europäische Außenpolitik ist. Europa steht schwach und unkoordiniert da, kritisiert Christoph Hasselbach.

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EU-Außenminister und Ashton stehen zusammen Foto: picture-alliance/dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Bereits das Außenministertreffen an sich grenzte an ein Wunder: Lange wollte kaum einer von ihnen das Sonnenbad am Strand, den Restaurantbesuch oder die Klettertour im Urlaub für eine lästige Sitzung in Brüssel opfern. Aber nicht nur der ungünstige Zeitpunkt hat sie zunächst abgehalten. Lange haben die europäischen Regierungen den Ernst der Lage unterschätzt. Außerdem meinten viele, die Konflikte im Irak seien ein rein amerikanisches Problem, weil Amerika 2003 unter Präsident Bush im Irak einmarschiert war und nach verbreiteter Ansicht für alles dort verantwortlich sei, was sich seitdem getan hat.

Mit die stärksten europäischen Gegner von Bushs damaligem Waffengang waren Frankreich und Deutschland. Zwar haben die Regierungen in allen drei Staaten seitdem gewechselt - in Washington und Frankreich nach links, in Deutschland nach rechts - trotzdem glaubte man in Berlin und Paris lange, im Irak nichts verloren zu haben. Bis das Wort Völkermord fiel: Die religiöse Minderheit der Jesiden droht, von der Landkarte des Mittleren Ostens zu verschwinden. Erst das hat die Europäer aufgeweckt.

Haben die Geheimdienste geschlafen?

Dabei ist die Situation schon seit Monaten hochgefährlich. Die Dschihadisten der Organisation "Islamischer Staat" (IS) bringen nicht nur unvorstellbare Grausamkeiten, sie könnten die gesamte Machtstruktur in der Region verändern. Und wie in Syrien rekrutieren sie auch Europäer, die irgendwann nach Europa zurückkehren und dort Anschläge verüben können. Die EU reagiert also nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch im eigenen Interesse. Warum die Situation die westlichen Regierungen so überrascht hat, ist ein Thema für sich: Offenbar sind ihre Geheimdienste mehr damit beschäftigt, sich gegenseitig auszuspionieren, als frühzeitig auf Sicherheitsgefahren weltweit hinzuweisen.

Christoph Hasselbach
Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Jetzt hat sich die Meinung in vielen EU-Staaten fast von einem Tag auf den anderen geändert, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Ausnahmslos alle freuen sich zum Beispiel, dass die USA erneut militärisch im Irak eingegriffen haben. Frankreich, 2003 wohl der lautstärkste Kritiker Amerikas, ist jetzt das erste europäische Land, das Waffen an die Kurden liefert, damit diese den IS zurückdrängen. Deutschland liefert ebenfalls Rüstungsgüter in das Konfliktgebiet, solche, die nicht töten, aber vielleicht bald auch solche, die töten. All dies vollzieht sich nun mit atemberaubender Geschwindigkeit.

Zweifel und Hemmungen

Was fehlt, ist eine einheitliche europäische Strategie. Es gibt weiterhin keine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Man reagiert, statt Vorsorge zu treffen. Und wenn gehandelt wird, dann sind es einzelne Staaten, nicht die EU als Ganze. Das hängt mit den unterschiedlichen Positionen und Traditionen zusammen. Franzosen und Briten als ehemalige Kolonialmächte im Mittleren Osten fühlen sich mehr verpflichtet als andere und haben generell weniger Probleme mit Militärinterventionen; Schweden zum Beispiel sieht grundsätzlich in einer Aufrüstung irgendeiner Seite keine Lösung; das wirtschaftliche Schwergewicht Deutschland wiederum hat nach wie vor Hemmungen, so zu führen, wie sich andere das wünschen. Schließlich sind die Zweifel an einer militärischen Option nicht von der Hand zu weisen: Moderne europäische Waffen könnten am Ende doch in die Hände der Islamisten fallen. Oder die Kurden könnten sich ermutigt fühlen, einen großen eigenen Staat zu gründen, was sofort die Türkei wegen ihrer kurdischen Minderheit auf den Plan riefe.

Ashton ist schwach, weil sie schwach sein soll

Kann man aus dieser Meinungsvielfalt und allgemeinen Ratlosigkeit eine einheitliche Politik machen? Es wäre schon viel gewonnen, wenn die EU einzelne Mitgliedsstaaten zwar handeln ließe, aber wenigstens deutlich sichtbar die Fäden einer Koordinierung in der Hand hielte. Doch genau dies lässt die Außenbeauftragte Catherine Ashton vermissen. Sie tritt als außenpolitisches Gesicht der Europäischen Union kaum in Erscheinung. Andererseits haben die Regierungen sie vor fünf Jahren ausgesucht, gerade weil sie wussten, Ashton würde ihnen nicht die Schau stehlen. Das rächt sich in Zeiten, in denen die EU mit dem Irak, Syrien und der Ukraine Antworten auf gleich mehrere schwere Konflikte finden muss. Bald soll Ashtons Nachfolger benannt werden. Vielleicht hilft diese Krise wenigstens, dass die EU diesmal eine starke Persönlichkeit wählt, die Europas wirtschaftliches Gewicht in politischen Einfluss verwandeln kann. Die EU kann sich ihre außenpolitische Schwäche nicht leisten, und die Welt kann sich eine außenpolitisch schwache EU nicht leisten.