Es knirscht schon in der GroKo
13. März 2018Ausgangspunkt des einen Streitthemas sind die Äußerungen des designierten Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) zu Hartz IV und Armut. In die Debatte schalteten sich nun auch der kommissarische SPD-Chef und künftige Finanzminister Olaf Scholz sowie der Chef der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt ein.
Spahn hatte mit der Aussage, mit Hartz IV habe "jeder das, was er zum Leben braucht", von vielen Seiten Kritik auf sich gezogen. Darüber hinaus hatte er in einem Interview über den vorübergehenden Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel gesagt, auch ohne die Tafeln müsse hierzulande niemand hungern. Deutschland habe "eines der besten Sozialsysteme der Welt". Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut.
Scholz: Wir haben andere Vorstellungen
Scholz distanzierte sich in den ARD-"Tagesthemen" am von seinem zukünftigen Kabinettskollegen. "Wir haben andere Vorstellungen und das weiß auch jeder", sagte der designierte Finanzminister. Er glaube, "Herr Spahn bedauert ein wenig, was er gesagt hat".
Kritik an Spahn kam auch von SPD-Vize Ralf Stegner. "Die Unterschiede zwischen Arm und Reich haben so ein Ausmaß, dass man solche Äußerungen nicht machen kann, wie Spahn sie macht. Das ist völlig daneben, was er sagt", erklärte Stenger in der "Frankfurter Rundschau". Allerdings sieht Stegner in Spahns Worten auch positive Aspekte, da sie den Unterschied zu den Sozialdemokraten klar machten: "Ich finde das nützlich. Denn es fordert Widerspruch heraus." Und diesen Widerspruch werde es auch geben.
Dobrindt verteidigt Spahn
Rückendeckung bekam Spahn dagegen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Hartz IV ist eine Solidarleistung zur Sicherung der Lebensgrundlagen: Essen, Kleidung, Wohnung, Heizung und soziale Teilhabe", sagte Dobrindt dem "Münchner Merkur". Die Tafeln seien ein "ergänzendes, freiwilliges Angebot für die Schwächsten unserer Gesellschaft". Dieses oft ehrenamtliche Engagement verdiene klare Unterstützung. Daraus eine Sozialstaatskritik zu formulieren und abzuleiten, dass die Sozialleistungen in Deutschland zu gering seien, ist unsachlich", meinte Dobrindt.
Auch der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), verteidigte Spahn. Diese seien nicht völlig falsch gewesen, sagte Hirte im RBB-Inforadio. "Natürlich ist es so, dass formal gesehen ein Hartz
IV-Empfänger arm ist", erklärte er. "Aber Jens Spahn hat auch Recht, dass wir versuchen mit Hartz IV eben dafür zu sorgen, dass keiner völlig durchs Raster fällt. Und es ist gut, dass wir in Deutschland so einen ausgeprägten Sozialstaat haben." Gleichwohl betonte Hirte, dass er Spahns Aussagen so nicht getroffen hätte.
Spahn zeigt Verständnis für Hartz-IV-Bezieher
Spahn selbst versuchte seine Aussagen inzwischen zu relativieren. "Natürlich ist es schwierig, mit so einem kleinen Einkommen umgehen zu müssen, wie es Hartz IV bedeutet", sagte Spahn im Sender n-tv. "Das deckt die Grundbedürfnisse ab und nicht mehr - da gibt es auch nichts zu diskutieren, und das habe ich auch nicht in Frage gestellt." Ihm sei es dennoch wichtig zu betonen, "dass unser Sozialsystem tatsächlich für jeden ein Dach über dem Kopf vorsieht und für jeden das Nötige, wenn es ums Essen geht", so Spahn..
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte indes eine Reduzierung von Arbeitslosigkeit an. "Unser Ziel muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz-IV oder anderen Transferleistungen leben", sagte er der "Rheinischen Post". Das Zentrale sei, dass die Menschen von ihrem Einkommen aus Arbeit leben können.
CDU-Konservative werfen SPD "Vertrauensbruch" vor
Streit zwischen den Koalitionären ist auch um einen von der SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Streichung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche entbrannt. Konservative Unionsabgeordnete kritisierten das Vorgehen der Sozialdemokraten es als "eklatanten Vertrauensbruch". Der Vorgang bestätige ihre Zweifel "hinsichtlich der Verlässlichkeit unseres zukünftigen Koalitionspartners", sagte die Sprecherin des konservativen "Berliner Kreises", Sylvia Pantel (CDU) der "Augsburger Allgemeinen". "Einen schlechteren Start für die erneute Zusammenarbeit in der großen Koalition hätte es aus meiner Sicht kaum geben können."
Während die SPD das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche abschaffen will, lehnt die Unionsfraktion dies ab. Auch Linke und Grüne wollen den Paragrafen streichen, die FDP strebt eine Abschwächung an. Eine Mehrheit für die Abschaffung des Paragrafen könnte also ohne die Union zustande kommen.
Erst am Montag hatten die Partei- und Fraktionsspitzen von Union und SPD in Berlin den Anfang Februar ausgehandelten Vertrag für ihr künftiges Regierungsprogramm unterzeichnet. An diesem Mittwoch soll Angela Merkel (CDU) vom Bundestag erneut zur Regierungschefin gewählt werden. Unmittelbar nach der Wahl werden die neuen Minister vom Bundespräsidenten im Schloss Bellevue ernannt und dann im Bundestag vereidigt, fast ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl.
ww/stu (dpa, afp, kna)