Es lebe der Kurzfilm - jetzt auch im Internet
2. Dezember 2001Manch einer erinnert sich vielleicht an den legendären Kurz-Streifen "Coffe and cigarettes" von Jim Jarmush: Iggy Pop und Tom Waits vereint an einem Kneipentisch, über die Laster des Rauchens und Kaffetrinkens sinnierend. In der Kürze liegt die Würze und dass Kurzfilme nicht nur abstruse Studenten-Erstlinge sein müssen ist auch bekannt.
Surfer stimmen für ihren persönlichen Sieger
Das 17. Internationale Kurzfilmfestival Berlin, das einmal als reines Super-8-Festival im vom Autonomen besetzten Kreuzberg begann, ist längst zu einem Festival von internationalem Rang avanciert.
Eine Besonderheit des diesjährigen, erst kürzlich zu Ende gegangenen Festivals, waren die "Ultra-Shorts": Kurzfilme von maximal 3 Minuten Länge. Absolute Premiere: Während des Festivals konnten User sich im Internet 10 Kurzfilme - verpackt in die Dauer eines 20-minütigen Films - anschauen. Die Organisatoren hatten sich damit um eine gerechte Lösung für alle am Wettbewerb um den "Internet-Award" Beteiligten bemüht: einmaliges Klicken genügte, um alle Beiträge sehen zu können. Jochen Bomms' Computeranimation "Mein Wille geschehe" war der erste durch Internet-Voting ermittelte Gewinner.
Publikum und Prominenz
Eine weitere Rubrik des diesjährigen Internationalen Kurzfilmfestivals war Shorts-welcome, ein seit einem Jahr existentes Projekt der Kirch-Gruppe. Es handelt sich dabei um ein reines Online-Filmfestival, bei dem jeden Monat 10 Filme miteinander um die Gunst des Surfers buhlen. Neben dem Publikumspreis wird von prominenten Vertretern der Filmbranche - Schauspielern, Regisseuren, Produzenten - ein Jurypreis vergeben. Dieses Prinzip hat sich Dirk Plechinger, der Macher von Shorts-welcome, von diversen ausländischen Vorbildern abgeschaut.
Gleichwohl am PC niemals lauschige Kino-Atmosphäre aufkommen kann, die Vorteile der Online-Veranstaltung liegen auf der Hand: im Büro oder am heimischen Bildschirm, überall und zu jeder Zeit lässt sich an diesem Vergnügen teilhaben.
Wahren Cineasten ist der Weg zum Kino natürlich niemals zu lang. Sie konnten erleben wie die virtuell ermittelten Oktober-Sieger von Shorts-welcome im Rahmen des Internationalen Kurzfilmfestivals ganz real gekürt wurden. Und das von prominenten Vertretern des Film-Geschäfts: Otto Sander verlas auf der Abschlussveranstaltung die Begründung der Jury. Unter anderem hieß es dazu "Tokyo Love", dem Jury-Sieger von Silke Wolter: "Es wird eine Figur mit einer Tiefe erzählt, wie wir sie in manchen Langfilmen vermissen."
Das ideale Format fürs Internet
Auch die Hamburger Firma Bitfilm, die sich als "die Webstation des digitalen Films" versteht, weiß um die Vorzüge des kurzen Streifens. Ausgewählte Kurzfilme als Real Video oder Flash stellt Bitfilm, gruppiert in die Module Fun, Love, Live, Lab und Trash ins Netz. Die Interaktivität mit dem User wird hier über die Lizenz zum Zensieren hergestellt. Von "1" für sehr gut bis "6" für "grottenschlecht" reicht das Spektrum.
Streaming heißt die Zauberformel
Das amerikanische Filmportal Atomfilm ist der große Vorreiter für den Kurzfilm und seine Vermarktung im weltweiten Netz. Exklusives wird dem Besucher der Website derzeit geboten: David Lynchs' Dumbland, ein kurzer Zeichentrickfilm von Hollywoods' provokativstem Filmemacher. Bereits seit 1998 bringt Atomfilms Profis, Amateurfilmer und Web-Publikum zusammen und wirbt für den Vertrieb der Filme.
Interfilm Berlin, die Veranstalter des Internationalen Kurzfilmfestivals, und Bitfilm erwerben ebenfalls Lizenzen an den bei ihnen eingehenden Filmen. Diese vertreiben sie an Interessenten aus dem Bereich der interaktiven, vernetzten Medien.
Ein Hauptaspekt bei der Auswahl der Filme ist dabei das Streaming. Bezeichnet ist damit ein Verfahren zur Darstellung von Video- und Audiodaten im Internet. In ununterbrochenem Datenfluss sollen die einzelnen Bilder, aus denen sich der Film zusammensetzt, vom Server zum Client strömen. Im Gegensatz zum Download müssen die Multimedia-Daten nicht erst auf dem Rechner des Users abgespeichert werden. Das Abspielen erfolgt parallel zum Download und ganz ohne Ruckeln.
Surfer verfügen nach Studien nicht über großes Durchhalte-Vermögen. Dennoch reicht es nicht aus, Inhalte in einer ungewöhnlichen Art auf den Punkt zu bringen. Rasante Überblendungen und ein schneller Bilderwechsel sind schlechte Voraussetzungen für das Web. Die aktuell gängigen Übertragungskapazitäten sind damit überfordert. In gewisser Weise muss sich der Filmemacher auch dem neuen Medium anpassen.
Sehr gut gelingt das in Matthias Schellenbergers Streifen "Waneblanou", der derzeit auf der Seite von Bitfilm zu sehen ist. Landschaftsaufnahmen aus Benin/Westafrika und Fotos einer Familie und ihrer Freunde werden gekonnt ineinander verblendet: Bilder, die einen in nüchterner Büroatmosphäre kurzzeitig in ihren Bann zu ziehen vermögen.(cg)