Es wird eng auf Indiens Straßen
21. August 2004Noch in den 1980er Jahren hätte niemand zu träumen gewagt, dass auf den überfüllten Straßen indischer Metropolen wie Delhi oder Bombay ein Mercedes oder ein Audi zu sehen sein könnte. Damals waren einheimische Modelle die einzigen im Angebot, ihre Qualität im internationalen Vergleich mangelhaft und sie mussten Jahre im Voraus bestellt werden.
Das hat sich inzwischen radikal geändert - beste Voraussetzungen für deutsche Autobauer. 2003 stieg der Absatz von Neuwagen um fast 30 Prozent, sagt Pankaj Gupta von der Vereinigung indischer Automobilhersteller (SIAM): "Im vergangenen Jahr haben wir zum ersten Mal fast eine Million Neuwagen verkauft. Daran sieht man, wie der indische Markt wächst. Auch die Einkommen der Leute steigen. Das zeigt sich daran, dass DaimlerChrysler hier zum Beispiel im Luxussegment einen Marktanteil von acht bis zehn Prozent hat."
Boomland Indien
DaimlerChrysler startete schon 1994 eine eigene PKW-Produktion mit Joint-Venture Partnern in Indien. Zwischen 2000 und 2003 stieg der Absatz um gut 50 Prozent auf 1700 Fahrzeuge. Zwar sind die Zahlen für das Land mit mehr als einer Milliarde Menschen gering. Doch sie sind Beleg für das gigantische Potenzial. Dennoch kommen im Schnitt nur sechs Autos auf tausend Inder.
Wenn das Wirtschaftswachstum aber auf dem derzeitigen Niveau von rund acht Prozent bliebe, schätzen Experten, dann würden jedes Jahr etwa 50 Millionen Menschen von der Mittelschicht in die obere Mittelschicht aufsteigen. Diese wären dann die Autobesitzer von morgen.
Vorbild China
Eine ähnliche Entwicklung hat auch China erlebt. Heute ist das Land auf dem Weg, zum weltweit drittgrößten Automarkt zu werden. BMW ist in China seit mehreren Jahren aktiv, jetzt erwägt der Konzern auch den Markteintritt in Indien. Eckhard Wannieck, Presseprecher bei der BMW Group: "Deutsche Produkte genießen hier einen sehr guten Ruf. In China ist BMW eine der beliebtesten Marken. Die Chinesen nennen den BMW auch 'Bao ma', das heißt wertvolles Pferd. Ich vermute, dass wir auch in Indien auf ein ähnlich positives Echo stoßen."
In China baute BMW ein Werk mit 3000 Mitarbeitern auf. Noch prüft der Konzern, ob er Vergleichbares auch in Indien tut oder ob er zunächst mit Partnern zusammenarbeitet. BMW-Vertreter besichtigten jedoch bereits geeignete Produktionsstandorte, wie zum Beispiel im westindischen Kalkutta sowie den südindischen Städten Chennai und Hyderabad. Auch Cochin im Bundesstaat Kerala hofft wegen seines internationalen Seehafens und günstiger Flugverbindungen auf den Zuschlag.
Verlockend für Investoren
Doch die Region habe noch mehr zu bieten, sagt P.H. Kurien vom Programm zur Förderung industrieller Zusammenarbeit in Kerala: "Wir haben gut ausgebildete Arbeiter. Im Gegensatz zu anderen indischen Bundesstaaten finden sie hier zudem beste Lebensbedingungen vor, etwa im Gesundheitssektor oder im Bereich Bildung. Wir dulden keine Kinderarbeit, haben fast keine Analphabeten. Jedes multinationale Unternehmen kann sich im gesamten Staat auf eine gefestigte soziale Struktur verlassen."
Deutsche Autos in indischen Filmen?
Würde sich BMW tatsächlich in Indien ansiedeln, dann entstünden daraus nicht nur neue Arbeitsplätze. Für jeden Bundesstaat ist dies vor allem ein Prestigeobjekt.
Doch damit der deutsche Konzern tatsächlich Erfolg hat, bedarf es eines guten Marketingkonzepts. Eines, das sich den Bedürfnissen des indischen Marktes anpasst, sagt Eckard Wannieck von der BMW Group: "Was in Indien eine sehr große Rolle spielt, ist die Filmindustrie. Wir haben unterschiedliche Kooperationen mit den USA gehabt, dass wir unsere Autos in Filmen sichtbar gemacht haben. Im Prinzip sind wir da aber ganz offen."
Wann und in welcher Form BMW tatsächlich auf dem indischen Markt einsteigt, wird noch diskutiert. Doch in einem Punkt sind sich alle deutschen Automobilkonzerne einig: Indien ist einer der größten und bislang noch nicht berücksichtigten Märkte der Welt.