"Ich kann das schaffen"
8. Mai 2016DW: Jamie-Lee, wie fühlst du dich kurz vor dem Abenteuer ESC?
Jamie-Lee Kriewitz: Ich freue mich mega auf Stockholm und dass es jetzt endlich losgeht. Die vergangenen zwei Monate musste ich permanent Fragen dazu beantworten, wie ich mir das vorstelle. Jetzt möchte ich das erleben und kann es kaum abwarten, bis endlich dieser eine entscheidende Auftritt kommt. Ich bin total gespannt, wie die Stimmung im Saal sein wird und auf welchem Platz ich lande. Ich habe jetzt einfach nur noch Bock, da endlich hinzufahren.
Vor einem halben Jahr warst du noch eine ganz normale Schülerin. Dann gewinnst du die Casting-Show "The Voice of Germany", wirst kurz darauf die deutsche Kandidatin für den Eurovision Song Contest und bringst dein erstes Album heraus. Bist du nicht manchmal versucht, dich zu kneifen, um zu schauen, ob das nicht doch alles nur ein Traum ist?
Für mich ist das alles noch gar nicht real. Das fliegt alles an mir vorbei. Ich habe das selbst mit "The Voice" noch gar nicht gecheckt, dass ich wirklich diese eine Castingshow gewonnen habe. Dass ich für Deutschland zum ESC fahre, ist bei mir auch noch nicht richtig angekommen, das werde ich erst in ein paar Monaten alles so richtig nachvollziehen und verstehen können. Und ich bin auch froh, dass ich es noch nicht richtig realisiert habe. Wenn ich jetzt wirklich checken würde, was gerade so abgeht, wäre das ein viel größerer Druck für mich.
Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als du den Vorentscheid gewonnen hast?
Ich war total erleichtert. Das ist total das krasse Gefühl, zu wissen, dass die Leute mich mögen und dass sie mir die Aufgabe anvertrauen. Für mich ist das eine große Ehre. Das war direkt nach "The Voice of Germany" das nächste große Erfolgserlebnis und hat mich so glücklich gemacht.
Spornt dich Konkurrenz an?
Mein Konkurrenzgefühl wurde eigentlich erst beim Vorentscheid so richtig geweckt. Da gab es zwei Kandidaten, ich nenne jetzt mal keine Namen, mit denen meine erste Begegnung nicht so cool war. Die waren nicht gerade nett zu mir. Das hat mich dann erst recht motiviert, wenigstens weiter als die zu kommen. Ich habe mir gedacht: Das musst du jetzt schaffen. Das lässt du dir einfach nicht bieten.
Mittlerweile hast du dein erstes Album "Berlin" veröffentlicht. Bist du zufrieden?
Ich finde mein Album ist perfekt geworden. Ich höre so gerne emotionale, melancholische Musik, die eine bestimmte tiefe Atmosphäre hat. Die wollte ich auch mit meinen Liedern transportieren. Es ist einfach genau so geworden, wie ich es haben wollte. Das Album hat etwas unglaublich Gefühlvolles und ich finde, man kann sich genau in diese Lieder reinfühlen. Ich hatte auch immer Lieder, die mich in einer bestimmten Situation begleitet haben.
Du singst seit fünf Jahren in einem Gospel-Chor. Was reizt dich am Singen?
Ich habe im Alter von acht oder neun Jahren angefangen zu singen - mit "Singstar" auf der Playstation! Da habe ich gemerkt, dass ich gut singen kann, weil ich alle anderen abgezogen habe. Dann habe ich einfach immer weiter gesungen. Irgendwann konnte ich keinen Tag mehr ohne Singen verbringen. Das entspannt mich total. Das lenkt mich von anderen Sachen ab. Wenn ich für mich bin und singe, bin ich in meiner eigenen Welt. Jetzt meine eigene Musik machen zu können und zu sehen, dass sie auch andere begeistert, macht mich total glücklich.
Du fällst nicht nur mit deiner Stimme auf, sondern auch mit deinen Outfits, die an japanische Manga-Comics erinnern. Was fasziniert dich daran?
Ich kleide mich im Decora-Kei-Stil. Damit fällt man auf jeden Fall auf. Das finde ich cool. Ich habe es immer schon geliebt, etwas anders auszusehen als andere. Und dieser Stil hat so etwas Positives. Er ist kindlich und locker und bringt die Leute einfach zum Lächeln. Das mag ich total gerne daran.
Wird dir dein Outfit beim ESC helfen?
Es gibt mir auf jeden Fall Sicherheit, wenn ich in so einem Outfit auf der Bühne stehe. Und ich weiß, die Leute werden mich nicht so schnell vergessen mit dem Outfit und dem dazu passenden Bühnenbild. Das kann eigentlich nur positiv sein beim ESC. Ich muss mich schon wohl fühlen. In einem Outfit, das ich nicht mag, würde ich gar nicht auf die Bühne gehen. Ich liebe diese Outfits und ich liebe es aufzufallen, wenn ich angeguckt werde. Ich merke generell, dass die Zuschauer das interessant finden und dann wirklich hingucken und zuhören, was ich mache.
Was erhoffst du dir vom ESC?
Ich persönlich hoffe, dass ich Spaß haben werde und es genießen kann und gefühlt nicht nur die ganze Zeit hin- und hergeschubst werde. Ich würde mich gerne mit anderen Kandidaten unterhalten und hoffe, dass da vielleicht sogar kleine Freundschaften entstehen. Ich wünsche mir, dass dieser Abend einfach eine große Musikparty wird, weniger ein Wettkampf. Jeder, der auf die Bühne geht, soll vom Publikum gefeiert werden. Ich finde es auch generell krass, dass ich dann so ein riesiges Publikum habe. Letztes Jahr haben 200 Millionen Menschen zugeguckt. Das ist ein Publikum, das einige Weltstars nicht bekommen. Das ist einfach mega, dass ich vor so einem Publikum jetzt auftreten darf.
Wie geht es nach dem ESC weiter?
Es wäre cool, wenn da international Feedback kommen würde und sich daraus vielleicht Auftritte ergeben. Selbst wenn ich den ESC gewinnen sollte: Das ist alles mit viel Arbeit verbunden, in aller Munde zu bleiben. Aber ich glaube, dass ich das schaffen kann.
Das Interview führte Hendrik Welling.
Jamie-Lee Kriewitz wird am 14. Mai für Deutschland beim Finale des Eurovision Song Contest antreten. Die 18-Jährige aus Springe bei Hannover ist durch den Gewinn einer Castingshow beim deutschen Fernsehpublikum bekannt geworden. Ende Februar wurde sie von den Zuschauern beim ESC-Vorentscheid zur deutschen Kandidatin gekürt. In der Zwischenzeit hat sie ihr erstes Album "Berlin" aufgenommen, das seit Ende April auf dem Markt ist.