ESC-Vorentscheid 2018: Neues Auswahlverfahren
21. Februar 2018Was zählt denn eigentlich bei der größten Unterhaltungsshow der Welt: künstlerische Qualität, buntes Auftreten, eine mitreißende Komposition, eine klare Botschaft, oder ist es der Geschmack des Publikums? Und wenn Letzterer, dann von wem: von Fachleuten aus der Musikbranche, von nationalen oder internationalen Fernsehzuschauern?
Was hat man nicht schon alles unternommen, um beim Eurovision Song Contest (ESC) zu punkten? Etablierte Stars wie Roger Cicero sollten es richten, oder mal auch unbekannte wie Jamie Lee oder Levina, die beim Televoting durchkamen. Zurück blieben jeweils schlechte Platzierungen und Ratlosigkeit.
"Radikaler Neuanfang"
"Einen radikalen Neuanfang" versprach ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber, nachdem Deutschland 2015 und 2016 auf dem letzten Platz und 2017 auf dem vorletzten Platz gelandet ist. Zunächst wurden aus 4000 Bewerbern und Bewerberinnen 1000, dann 200, dann 20 ausgewählt. Diese arbeiteten bei einem Workshop im Studio, bekamen Vocal Coaching. Dann wurden Experten für komplexe Datenmodelle sowie Voting- und App-Experten zu Rate gezogen. Eingebunden in die Entscheidung wurde ein Eurovisions-Panel aus 100 Menschen, die "bestmöglich den Musikgeschmack der internationalen Fernsehzuschauer repräsentieren" sollen.
Geschmacksache?
Darüber vergisst man das schöne deutsche Sprichwort: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Jedenfalls kamen nach dem mehrstufigen Verfahren sechs Kandidatinnen und Kandidaten heraus, die an einem dreitägigen "Song Writing Camp" im Januar in Berlin teilnahmen, um "den Kandidaten die passenden Lieder auf den Leib zu schreiben", so steht es auf der Eurovisions-Webseite.
Je zu einem Drittel sind nun drei Instanzen beim Vorentscheid "Unser Lied für Lissabon" am Donnerstagabend gleichberechtigt: Neben den Fernseh- und Streaming-Zuschauern, die sich am Televoting beteiligen, sind es das 100-köpfige Panel und eine Expertenjury, die aus 20 Mitgliedern der ESC-Jurys der vergangenen Jahre aus verschiedenen europäischen Ländern besteht. Der Einsatz der internationalen Expertenjury entstand vermutlich aus der Erfahrung, dass der "Geschmack" in Deutschland mit dem in Europa nicht immer deckungsgleich ist.
"Tolle Kandidaten"
Wieder dieser Begriff: Geschmack! Insgesamt ist das neue System womöglich etwas kompliziert, es brachte aber jetzt sechs Kandidaten hervor, die bei allen Unterschieden im Stil und Genre eines gemeinsam haben: ein eigenes künstlerisches Profil. Selbst der langjährige Eurovisions-Moderator und Beobachter Peter Urban war beeindruckt: "Alle authentisch, alles dabei", sagte er. "Bei der Auswahl haben die viel Energie und viel Zeit investiert, und jeder Künstler singt seinen eigenen Song. Das sind tolle Kandidaten, jeder ist in seiner Weise echt und überzeugend. Das ist ein Unterschied zu früheren Jahren."
Popmusik von der Stange ist es also diesmal nicht. Umso spannender dürfte die Show am Donnerstagabend werden. In wen werden die Deutschen ihre bangen ESC-Hoffnungen setzen? Neben der Ausstrahlung im Ersten Fernsehprogramm wird die Show per Livestream übertragen. Und wir werden berichten.