Israels düpierte arabische Partner
11. Mai 2021In Teheran und Ankara dürfte man sich auf die Schultern klopfen. Die Straßenkämpfe der letzen Tage in Ost-Jerusalem, die in eine offene militärische Konfrontation zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas mündeten, sind Wasser auf die Mühlen der dortigen Propagandisten in höchsten Staatsämtern.
Als im vergangenen August zunächst die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und in deren Gefolge dann weitere Staaten - Bahrain, Marokko, der Sudan - Normalisierungsabkommen mit Israel unterzeichneten, fanden sowohl der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als auch der geistliche Führer Irans, Ayatollah Ali Khamenei, harte Worte. Während viele politische Führungsfiguren der arabischen Welt zu den von Ex-US-Präsident Donald Trump vorangetriebenen Abkommen weitgehend schwiegen oder sie zumindest nicht offensiv verurteilten, geißelten die Staatsführer aus der Türkei und Iran die Abkommen offensiv als Verrat an der islamischen Welt.
"Der Versuch, daraus politisch Kapital zu schlagen"
Angesichts der jüngsten Zusammenstöße in Ost-Jerusalem legen sie nun nach. Khamenei bezeichnet jegliche Normalisierung mit Israel laut der iranischen Nachrichtenagentur INSA als "Dolchstoß in den Rücken Palästinas". Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin schreibt auf Twitter von einer "nicht enden wollenden israelischen Aggression". Das sind Statements, mit denen man inmitten einer Krise wie der jetzigen durchaus Punkte auch auf arabischen Straßen sammeln kann.
Derartige Reaktionen zeigten eines, sagt die Politologin Cinzia Bianco, die beim European Council on Foreign Relation zur Politik der Golfstaaten forscht: "Sowohl die Türkei als auch der Iran werden versuchen, aus den Ereignissen in Palästina politisch Kapital zu schlagen, um ihre regionalen Rivalen anzugreifen, die sich mit Israel einlassen."
Türkei und Iran wittern ihre Chance
Dies wiederum dient offenkundig einem weiteren Ziel: Erdogan wie Khamenei versuchen, ihre Länder als neue Führungsmächte im Nahen Osten aufzubauen. Dabei nutzen sie den Umstand, dass der wichtigste sunnitische Staat der arabischen Welt, Saudi-Arabien, die Beziehungen zu Israel zwar diskret, aber durchaus erfolgreich verbessert hat. Damit eröffnet auch Riad für all jene eine Flanke, die sich durch den entgegengesetzten Weg, nämlich durch Gegner- oder sogar Feindschaft gegenüber Israel, als neue Führungsmächte zu etablieren versuchen.
Umso schwieriger wird die Lage für Politiker und Länder, die, wie die VAE und die drei anderen Staaten, nach Jahrzehnten der erstarrten, teilweise geradezu ritualisierten Dauer-Feindschaft auf ein neues, friedliches Verhältnis zu Israel setzen und davon nicht zuletzt wirtschaftlich profitieren wollen.
Bei diesem Schritt habe der Nahost-Konflikt allenfalls eine indirekte Rolle gespielt, sagt die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, Senior Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im DW-Gespräch. "Dort ging es um andere Themen, etwa um Wirtschaftsbeziehungen und ein gemeinsames Bündnis gegen Iran. Mit den israelisch-palästinensischen Konflikt hatte das Abkommen zunächst einmal nichts zu tun."
Hoffnung auf eine Entschärfung des Nahost-Konflikts
Weil aber die neuen Beziehungen sowohl in Teilen der eigenen Bevölkerung wie auch bei vielen Bürgern anderen arabischer Staaten nicht gut ankamen, rechtfertigten die unterzeichnenden arabischen Staats- und Regierungschefs ihre Unterschrift offiziell auch mit der Hoffnung auf eine Entschärfung des Nahost-Konflikts. So erklärte der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Said Al Nahjan, anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens im Sommer vergangenen Jahres, er habe sich in einem Telefonat mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu angeblich darauf geeinigt, die weitere israelische Annexion palästinensischer Gebiete zu stoppen.
Demgegenüber war der jährlich veranstaltete Jerusalem-Tag am Montag - an ihm feiert Israel die Eroberung Ost-Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg 1967 - absehbar ein Anlass für weitere Verschärfung. Das Problem sei ein grundsätzliches, meint Kerstin Müller: "Radikale Siedlerorganisationen nutzen diesen Tag mit Protestzügen durch die arabischen Viertel von Ost-Jerusalem zur gezielten Provokation. Das ist dieses Mal eskaliert und hat das Potential für einen Flächenbrand."
Neue Partner unter Druck
In den Hauptstädten der neuen israelischen Partnerstaaten dürfte man sich bewusst sein, welche Auswirkungen die jüngsten Spannungen angesichts einer weitgehend pro-palästinensischen Grundstimmung auch in ihren Ländern haben könnten - und wie sehr sie nun auch selbst wegen ihrer Beziehungen zu Israel unter Druck stehen.
Mit Sorge dürfte man dort nicht nur die zahlreichen gegen Israel gerichteten Postings in sozialen Netzwerken, sondern auch die Kommentare großer, an die gesamte arabische Welt gerichteter Medien zur Kenntnis nehmen. Alle Illusionen seien gefallen, heißt es etwa in der panarabischen Zeitung "Al araby al-jadeed". Das von katarischen Finanziers unterhaltene Blatt bezeichnete alle jene, "die die Normalisierung mit dem Feind zur Pflicht erheben", indirekt als Verräter. Das zielt direkt auf die führenden Politiker in den Staaten, die - angespornt von Donald Trump und teils verbunden mit konkreten politischen oder wirtschaftlichen Verlockungen - bilaterale Deals mit Israel eingegangen sind.
Entsprechend rasch reagierten diese bereits am Wochenende. So verurteilte das Außenministerium der VAE die Erstürmung der Al-Aksa-Moschee durch israelische Sicherheitskräfte "nachdrücklich". Man fordere Israel zur Deeskalation auf.
Das sudanesische Außenministerium bezeichnete das israelische Vorgehen als "Repression", auch marokkanische Stellen äußerten "tiefe Besorgnis" über die Gewalt.
Konsequenzen wahrscheinlich?
Die israelische Regierung müsste nun versuchen, die Lage in Ost-Jerusalem zu beruhigen, meint Kerstin Müller. Sollten die Spannungen weiter anhalten, wären auch andere Interessen Israels gefährdet. "Dazu gehören auch die Normalisierungsbestrebungen mit der arabischen Welt."
Doch wie wahrscheinlich sind Konsequenzen? Die Interessen der VAE in Bezug auf Israel seien bis auf weiteres eher strategischer als taktischer Natur, sagt Cinzia Bianco vom European Council on Foreign Relations. "Das bedeutet, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Prozess der Normalisierung rückgängig gemacht wird." Allerdings hält Bianco es für sehr wahrscheinlich, dass laufende gemeinsame Projekten auf Eis gelegt werden könnten, solange die Auseinandersetzungen in einer akuten Phase blieben. Bianco meint: "Die VAE bleiben wachsam gegenüber der Stimmung auf der arabischen Straße. Sie lassen von ihr aber nicht ihre regionale Politik diktieren."