EU behindert weiter Getreideexporte aus Ukraine
25. Juli 2023Seit Russland erneut Getreideexporte aus der angegriffenen Ukraine über das Schwarze Meer unmöglich macht und auch Donau-Häfen in der Nähe von Rumänien angreift, sucht die Ukraine dringend nach alternativen Exportrouten über den Landweg. Ausgerechnet in diesem Moment wollen einige EU-Nachbarn der Ukraine, angeführt von Polen, weiterhin keine Importe von ukrainischem Getreide auf ihren Märkte zulassen.
Nur der Transport von ukrainischen Getreideexporten durch Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die übrigen 22 EU-Staaten und den Rest der Welt ist im Moment rechtlich möglich. Allerdings könnten die Kapazitäten dieses Transit-Exportes höher sein, meinen das ukrainische Landwirtschaftsministerium und auch die EU-Kommission in Brüssel.
Der Umfang des Getreideexports durch die EU soll von heute drei Millionen Tonnen pro Monat auf vier oder viereinhalb Millionen Tonnen gesteigert werden. Das wäre immer noch kein Ersatz für den Export über das Schwarze Meer, der zuletzt sieben Millionen Tonnen pro Monat ausgemacht hat.
Weiter verlängern?
Im April hatten Polen und die übrigen östlichen Grenzstaaten mit der EU-Kommission einen Import-Bann für vier ukrainische Getreidesorten ausgehandelt, der ursprünglich nach Bereinigung kurzfristiger Marktverwerfungen am 5. Juni auslaufen sollte. Aber Polen machte weiter Druck: Im Juni wurden die Erschwernisse für ukrainische Exporte aus Angst vor billiger Konkurrenz noch einmal bis zum 15. September verlängert.
Am heutigen Dienstag verlangten die Agrarminister der Grenzstaaten bei der Sitzung der EU-Landwirtschaftsminister in Brüssel eine abermalige Verlängerung der Ausnahmeregeln bis zum Jahresende. "Das wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Entschieden wird im September", sagte der spanische Ressortschef Luis Puchades, der das Treffen leitete.
Kritik aus Deutschland
Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hält das für keine gute Idee. Schließlich erhielten Polen und die anderen Staaten Ausgleichszahlungen für erlittene Verluste ihrer Bauern in dreistelliger Millionenhöhe. Nun müssten sie ihre Grenzen auch wieder öffnen.
"Was aber nicht geht, ist, dass man das Geld aus Brüssel als Kompensation für die Belastung in Anspruch nimmt, gleichzeitig aber die Grenze zur Ukraine schließt, teilweise für Produkte, die vor dem Krieg legal exportiert werden durften", kritisierte Cem Özdemir besonders die polnische Haltung. "Das führt am Ende dazu, dass die Solidarität mit der Ukraine untergraben wird."
Wahlkampf in Polen
In Polen hatte es Anfang des Jahres heftige Proteste von Bauern gegen billiges Getreide aus der Ukraine gegeben. Die polnische Regierung verhängte darauf hin, einseitig ohne Absprache mit der eigentlich für Handelspolitik allein zuständigen EU-Kommission, ein Importverbot.
Im Geleit Polens schlossen auch vier übrige Staaten ihre Grenzen für ukrainische Agrarprodukte. Erst nach zähen Verhandlungen gelang es der EU-Kommission Ende April einen Deal auszuhandeln, der Ausgleichszahlungen im Gegenzug zu einer Befristung der Importverbote vorsah. Im Moment arbeitet eine "Koordinierungsgruppe" der fünf Grenzstaaten und der Kommission daran, zumindest die Exporte durch Polen, Rumänien und die übrigen Staaten in den Rest der Welt schnell auszubauen.
Der polnische Landwirtschaftsminister Robert Telus aber stellt sich quer. Die ukrainische Seite beklagt zum Beispiel, dass die Einfuhrkontrollen für den Transit von ukrainischen Produkten an der polnischen Grenze ewig dauerten. Der nationalkonservative Telus nimmt Rücksicht auf seine wütenden Landwirte. In Polen wird im Herbst ein neues Parlament gewählt.
Der deutsche Umweltminister Cem Özdemir (Bündnis90/Die Grünen) kritisierte in Brüssel: "Es kann nicht sein, dass aufgrund eines einheimischen Wahlkampfes die Solidarität mit der Ukraine ausgehöhlt wird." Der Einzige, der sich über den Streit innerhalb der EU freue, sei der russische Machthaber Wladimir Putin. Der setze Hunger als Waffe ein und begehe mit der Bombadierung von Getreidespeichern in zivilen Häfen weitere Kriegsverbrechen.
Baltische Häfen als Ausweg?
Litauens Landwirtschaftsminister Kestutis Navickas, schlug vor, Getreideexporte aus der Ukraine in verplombten Containern per Eisenbahn durch Polen zu den Ostseehäfen in den baltischen Staaten zu transportieren. Die Zollformalitäten und Qualitätsprüfungen könnten dann zum Beispiel im litauischen Hafen Klaipeda abgewickelt werden.
"Technisch ist das möglich", so Agrarminister Navickas. Bei gutem Willen könne man das in wenigen Stunden umsetzen. Polen müsse nur überzeugt werden, dass kein Getreide in Polen bleibe, sondern alles exportiert werde. "Wir müssen das Problem schnell lösen", forderte Navickas. Nötig seien dazu auch Subventionen für die Eisenbahn-Gesellschaften, die den langen Transport organisieren und finanzieren müssten.
Soli-Spuren an den Grenzen
Die EU-Kommission in Brüssel ist durchaus bereit, hier zu investieren. Für die sogenannten "Solidaritäts-Wege" mit der Ukraine will die Kommission bis zu einer Milliarde Euro ausgeben. Mit dem Geld werden Straßen, Schienen und Zolleinrichtungen ausgebaut und Transporteure für Verluste entschädigt, und zwar in allen Staaten der EU, die an die Ukraine grenzen, erläuterte Adalbert Jahnz, Sprecher der EU-Kommission.
Das Programm der "Solidaritäts-Wege" ist nicht neu, kommt aber an manchen Stellen aus Sicht der Ukraine viel zu langsam voran. Auf den "Solidaritäts-Wegen" werden auch lebenswichtige Güter in die Ukraine gebracht. Der Warenverkehr läuft also in beide Richtungen und ist nach einem Beschluss der EU nach Kriegsbeginn völlig zollfrei.
So soll der Ukraine ein Handel mit dem Ausland trotz russischem Angriffskrieg ermöglicht werden. Um den ukranischen Staat zahlungsfähig zu halten, zahlt die EU-Kommission regelmäßig Haushaltsmittel an Kiew aus. In diesem Jahr rund 18 Milliarden Euro.
Selenskyj ist sauer
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die teilweisen Importverbote für ukrainisches Getreide in die EU wiederholt heftig kritisiert. Auch vor der jüngsten Landwirtschaftsministertagung der EU meldete sich der Präsident zu Wort. Das Verhalten der Verbündeten sei "absolut nicht zu akzeptieren und völlig uneuropäisch." Die EU habe rationalere Möglichkeiten, als einfach die Grenzen zu schließen.
Konkrete Beschlüsse wurden von den Landwirtschaftsministern heute nicht gefasst. In den nächsten Tagen sollen Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Beitrittskandidaten Moldau und die Ukraine sowie die EU-Kommission über die Agrarexporte verhandeln. Vielleicht bewegt sich erst nach den Wahlen in Polen mehr.