EU-Coronafonds geht an den Start
22. Juni 2021EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist in diesen Tagen viel im Flugzeug unterwegs. Sie besucht fast alle EU-Mitgliedsstaaten, um persönlich die Botschaft zu überbringen, dass die Kommission die Investitionspläne der nationalen Regierungen für den "Wiederaufbau-Fonds" nach Corona genehmigt hat. Die PR-Tour durch die Hauptstädte dient dazu, den "Wiederaufbau-Fonds" zu starten, der bis zu 750 Milliarden Euro in den kommenden sechs Jahren umfasst.
An diesem Dienstag war von der Leyen in Berlin, Riga und Rom zu Besuch, hauptsächlich um vor Kameras und Mikrofone zu treten. Ernsthafte Verhandlungen zwischen EU-Kommission und Regierungen waren nicht vorgesehen. Für die Begegnung mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin, die 25,6 Milliarden Euro aus dem "Wiederaufbau-Fonds" verwenden kann, waren gerade einmal 25 Minuten eingeplant. Am Mittwoch wiederholt die Kommissionspräsidentin ihre Auftritte in Paris und Brüssel. "Das ist das größte Investitions-Programm in Europa seit dem Marschall-Plan", preist von der Leyen das Vorhaben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA mit dem Marschall-Plan den Wiederaufbau in Europa angeschoben.
Italien ist größter Nutznießer
Vor einem Jahr hatten die Regierungschefs und -chefinnen der EU den "Wiederaufbau-Fonds" erfunden, der erstmals mit Schulden der Europäischen Union finanziert wird. Damit soll die Konjunktur nach der epochalen Corona-Rezession wieder angekurbelt werden. Den größten Batzen erhält Italien mit fast 200 Milliarden Euro. Spanien, Frankreich und Polen erhalten ebenfalls hohe Milliardenbeträge. Am Ende der Kette steht Luxemburg mit gerade einmal 100 Millionen Euro. Nach einem Jahr Vorarbeit haben mittlerweile 23 der 27 Mitgliedsstaaten ihre nationalen Pläne bei der EU-Kommission eingereicht, wie sie das Geld in sinnvollen Investitionen in den nächsten Jahren ausgeben wollen. Besonders verlockend dabei: Rund die Hälfte der Mittel sind Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, also den nationalen Haushalt nicht belasten. Die andere Hälfte sind zinsgünstige Kredite.
Grün und digital
Die Ausgabenpläne müssen eine Reihe von Kriterien erfüllen, die die EU-Kommission überprüfen sollte. Mindestens 37 Prozent der Investitionen müssen zum Klima- und Umweltschutz beitragen. 20 Prozent müssen die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft fördern. Schulen und Universitäten sollen besser ausgestattet werden. Darüber hinaus sollen Ausbildung und Gesundheitswesenn gefördert werden. Einfache Infrastrukturmaßnahmen, wie der Bau von Brücken oder Straßen, reichen nicht aus. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr soll dagegen gefördert werden. Für alle Maßnahmen muss plausibel sein, dass sie tatsächlich die Konjunktur ankurbeln.
Frisches Geld oder Umschichtung?
Deutschland erfüllt all diese Kriterien, lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Berlin. Besonders viel Geld fließt in Digitalisierung von Gesundheitsämtern, Krankenhäusern und Schulen. Die Produktionskette von Wasserstoff als Energieträger soll grenzüberschreitend eingerichtet werden. "Das ist kein Geld, dass wir irgendwie ausgeben", merkte Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Das müsse schon für zukünftige Aufgaben fließen. "Bei Digitalisierung müssen wir nacharbeiten", gestand die Kanzlerin ein. Die EU-Kommission schätzt, dass durch den Einsatz der Fördermittel das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,4 bis 0,7 Prozent wachsen dürfte.
Kritik am deutschen Ausgabenplan, der mehrere Hundert Seiten umfasst, kommt vom grünen Europaabgeordneten Daniel Boeselager. Ein großer Teil der Investitionen im EU-finanzierten "Aufbauplan" waren bereits Teil eines nationalen Konjunkturprogramms von 2020 mit einer Höhe von 130 Milliarden Euro. Jetzt werden einfach Mittel umgeschichtet, also wird mit EU-Geld das finanziert, was aus dem nationalen Haushalt kommen sollte. Der zusätzliche Konjunktureffekt sei also gleich Null, kritisiert Boeselager.
Italien will sich reformieren
In Italien hat Premierminister Mario Draghi eigens eine Task-Force ernannt, die die Verwendung der EU-Mittel überwachen und steuern soll. Die notorisch langsame Verwaltung und Justiz in Italien soll auf Trab gebracht werden. Draghi verspricht, jetzt das durchzusetzen, was er jahrelang als Präsident der Europäischen Zentralbank angemahnt hatte: Reformen, Reformen und noch mehr Reformen. Die Regierung hat eine spezielle Rechungsprüfungs-Einheit geschaffen, um Betrug und Korruption mit den "Aufbaumitteln" im Heimatland der Mafia möglichst zu unterbinden. In Italien umfasst das nationale Konjunkturprogramm nur 40 Milliarden Euro. Der richtige "Wumms" soll durch die EU-Mittel kommen. Kritisch sieht der Europa-Abgeordnete Daniel Boeselager das green-washing, das Italien in seinem Plan betreibe. Projekte, die nicht umwelt- oder klimafreundlich seien, würden als solche dargestellt, um Fördermittel loszueisen. Es müssten klare Ziele formuliert werden, um die gesetzlich festgelegten Einsparungen von Kohlendioxid auch zu erreichen, fordert der grüne Abgeordnete.
Geld fließt zum Jahresende
Die eingereichten Ausgaben-Pläne der nationalen Regierungen enthalten noch keine konkreten Projekte, sondern überwiegend Kriterien, Verfahren und Strategien zur Umsetzung von Projekten. Bevor das erste Geld tatsächlich aus Brüssel fließen kann, sind weitere Schritte nötig. Der Rat der Mitgliedsstaaten muss die Investitionspläne noch genehmigen. Dann müssen konkrete Förderanträge gestellt und von der EU-Kommission bewilligt werden. Die EU-Beamten schätzen, dass Ende des Jahres die ersten größeren Mittel fließen werden. Die Staaten können aber bereits einen Abschlag von 13 Prozent beantragen.
Die Finanzierung des Aufbaufonds läuft über die Ausgabe von Anleihen an den Finanzmärkten. Die erste Tranche von 20 Milliarden Euro war in der letzten Woche siebenfach überzeichnet. Ein Zeichen dafür, wie robust und solide die Kreditwürdigkeit der EU an den Märkten eingeschätzt wird. Die Schulden, die die EU jetzt aufnimmt, sollen in den nächsten Jahrzehnten durch neue Steuereinnahmen und Beiträge der Mitgliedsstaaten wieder abgebaut werden. Das Programm, das den Namen Next Generation trägt, soll für die nächste Generation eine wirtschaftlich stärkere EU bauen - und wird dann auch von der nächsten Generation bezahlt.