EU weist türkische Kritik zurück
26. Juli 2016Im März vereinbarten die EU-Staaten beim Gipfeltreffen mit der Türkei, dass in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt drei Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe in der Türkei gezahlt werden sollen. Diese finanzielle Hilfe ist Teil des Abkommens zur Rückführung von Flüchtlingen und Migranten aus Griechenland in die Türkei. Nach Angaben der EU-Kommission sind 740 Millionen Euro bereits für konkrete Projekte der Flüchtlingshilfe zugesagt. Mit privaten Hilfsorganisationen und den Vereinten Nationen seien Verträge für eine Summe von 150 Millionen Euro geschlossen worden. Tatsächlich ausgezahlt, so die Kommission, wurden bis Mitte Juni rund 105 Millionen Euro. Der Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, wies den Vorwurf des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, die EU habe bisher nur ein oder zwei Millionen Euro gezahlt zurück. "Das ist nicht wahr", sagte Schinas. "Die EU erfüllt weiter ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen mit der Türkei, das schließt die Flüchtlingshilfe ein. Wer anderes behauptet, hat nicht recht."
Erdogan: EU nicht aufrichtig
Der türkische Präsident hatte am Montagabend in einem Interview mit dem deutschen ARD-Fernsehen bemängelt, die EU halte sich nicht an die Vereinbarungen. "Unsere europäischen Freunde, die Regierenden, sind nicht aufrichtig. Wir haben drei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak in der Türkei. Die EU hat ihre Versprechen diesbezüglich nicht eingehalten. Wir haben zwölf Milliarden US-Dollar bislang für Flüchtlinge ausgegeben, aber keine Unterstützung erhalten", sagte Erdogan in der ARD. Die EU-Kommission wies in Brüssel noch einmal nachdrücklich darauf hin, dass die zugesagten drei Milliarden Euro für konkrete Projekte zur Unterbringung, Versorgung, Ausbildung und Integration von Flüchtlingen gebunden seien. "Diese Gelder sind für Flüchtlinge und die aufnehmenden Gemeinden. Das Geld ist nicht für den türkischen Staat vorgesehen", sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas.
Bis zum Ende des Monats Juli sollen weitere 1,4 Milliarden Euro für Projekte zugesagt werden, kündigte Schinas an. Der Vorschlag dazu liegt schon seit einigen Wochen auf dem Tisch. Am Ende des Sommers wären also zusammen genommen 2,1 Milliarden der drei Milliarden aus dem Topf für Flüchtlingshilfe vergeben. Damit liege man gut im Zeitplan, glaubt die Kommission. Bis das Geld tatsächlich konkret vor Ort ankommt, vergehe noch eine ganze Weile, räumen EU-Beamte ein. "Natürlich werden die Projekte nach den europäischen Haushaltsregeln abgewickelt. Es wird geprüft, wohin das Geld geht und welche Wirkung es hat", sagte der Sprecher der Kommission.
Gemeinsamer Ausschuss steuert die Vergabe
In Brüssel haben die Beamten der EU-Kommission, die sich mit dem Türkei-Deal beschäftigten, wenig Verständnis für die pauschale Kritik des türkischen Staatspräsidenten. Die Vergabe der Mittel wird nämlich von einem "Steuerungsausschuss" überwacht und entschieden, in dem auch die türkische Regierung vertreten ist. Da habe man solche Kritik noch nicht gehört. Den Vorschlägen des Steuerungsausschusses müssen die 28 Mitgliedsstaaten der EU jeweils zustimmen, denn sie zahlen am Ende ja auch. Zwei Milliarden Euro kommen direkt von den EU-Mitgliedsstaaten. Die dritte Milliarde des Flüchtlingshilfsfonds kommt direkt aus dem gemeinschaftlichen Haushalt der EU in Brüssel.
Die Flüchtlingshilfe für Kriegsflüchtlinge aus Syrien und Irak ist übrigens keine Erfindung, die speziell für das Abkommen mit der Türkei im März gemacht wurde. Die Idee wurde bereits im Oktober 2015 von den EU-Staats- und Regierungschefs geboren, konkret beschlossen werden konnte sie aber erst im März 2016, weil der Migrationsdruck auf Griechenland immer stärker wurde. Ursprünglich hatte die Türkei in den Verhandlungen mit der EU die Summe von sieben Milliarden Euro für Flüchtlingshilfe gefordert. Beim Gipfeltreffen in März wurde vereinbart, über die Jahre nach 2017 noch einmal zu sprechen, sollte sich die Lage in Syrien bis dahin nicht entspannt haben und sollten immer noch drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei verweilen.
Juncker: So kann die Türkei nicht beitreten
Der Chef der EU-Kommission Jean-Claude Juncker ging in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender France2 am Montag noch einmal auf Distanz zur Türkei. Nach dem gescheiterten Putsch geht der türkische Staatspräsident mit der "Säuberung" der Staatsapparates und der Verhängung des Ausnahmezustandes in seiner Reaktion zu weit, kritisieren viele Politiker in der EU. Ein Beitritt der Türkei zur EU sei im Moment ausgeschlossen, meinte Jean-Claude Juncker: "Ich glaube, dass die Türkei in ihrer derzeitigen Verfassung nicht versuchen kann beizutreten, auch nicht auf längere Sicht. Entscheidungen müssen jetzt nicht getroffen werden. Wir befinden uns in einem Verhandlungsprozess mit der Türkei."
Der türkische Präsident hatte in dem Interview mit dem ARD-Fernsehen die Wiedereinführung der Todesstrafe als möglich dargestellt. "Wenn die Türkei morgen die Todesstrafe wieder einführen würde, dann wären die Verhandlungen zum Beitritt sofort vorbei", sagte Kommissionspräsident Juncker. "Denn ein Land, das sich von den europäischen Werten entfernt, hat hier keinen Platz." Ob diese rote Linie auch für das Flüchtlingsabkommen und die darin vorgesehenen finanziellen Hilfen gilt, ist unklar. Die deutsche Bundesregierung plädiert bislang dafür, die Auswirkungen des abgewehrten Putschversuches und den Flüchtlingsdeal separat zu behandeln.