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EU-Erweiterung: Experten für weitere Öffnung der Arbeitsmärkte

14. September 2006

Die bevorstehende EU-Erweiterung führt zu erneuten Debatten um die Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Experten halten Ängste vor einer Arbeiterschwemme für unbegründet: Sie empfehlen eine Aufhebung der Beschränkungen.

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Abschottung vor Arbeitskräften auch aus Südosteuropa nicht erforderlichBild: AP

Die EU steht mit der geplanten Aufnahme Rumäniens und Bulgariens vor einer erneuten Erweiterung, und erneut wird dabei eine alte Debatte geführt: Ob Übergangsfristen für Arbeitsfreizügigkeit eingeführt werden sollten oder nicht. Hinzu kommt, dass einige der alten EU-Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, ihre Arbeitsmärkte für Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa noch nicht geöffnet haben.

Beschränkungen aufheben

Eine im Europa-Parlament vorgelegte Untersuchung mit dem Titel "Wer hat immer noch Angst vor der Erweiterung?" plädiert dafür, nicht nur die bestehenden Beschränkungen für die 2004 beigetretenen Staaten, sondern auch für Bulgarien und Rumänien, die voraussichtlich 2007 EU-Mitglieder werden, abzubauen. Dafür sprächen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschafts- und allgemeinpolitische Gründe, meint der Direktor der Brüsseler Nichtregierungsorganisation "European Citizen Action Service", Tony Venables. Im Gespräch mit der Deutschen Welle sagte er: "Wir kommen zu dieser Schlussfolgerung aufgrund der Erfahrung der drei Länder Großbritannien, Irland und Schweden, die ihre Arbeitsmärkte sofort geöffnet haben. Im Allgemeinen war das eine sehr positive Entwicklung, denn die meisten Zuwanderer haben sich um Arbeitsplätze beworben, die nicht besonders attraktiv für heimische Arbeitkräfte waren. Außerdem sind diese Arbeiter nur zeitweilig in den Westen gekommen, wo sie mehr Steuern gezahlt haben als vom Sozialsystem zu profitieren. Im Ganzen hat die Wirtschaft der Länder, die ihre Arbeitsmärkte geöffnet haben, davon deutlich profitiert."

Die damit verbundene Zuwanderung habe eine höhere Wirtschaftsleistung begünstigt. Neben dem größeren Steueraufkommen bedeute dies auch höhere Investitionen und mehr Verbrauch. Die Erfahrungen der EU-Länder, die sich resolut für offene Grenzen entschieden hätten, bestätigten diese Erkenntnis, so Tony Venables.

Nach Irland, Großbritannien und Schweden haben auch Finnland, Griechenland, Portugal, Spanien und später Italien sämtliche Beschränkungen aufgehoben. Anders als Deutschland und Österreich haben die Beneluxländer und Frankreich die Liberalisierung der Arbeitsgrenzen angestrebt. Jetzt sei es an der Zeit, dass auch Deutschland und Österreich solche Schritte unternehmen, meint der Direktor der Brüsseler NGO.

Befürchtungen unangemessen

Nach der EU-Erweiterung von 2004 sind weniger als 30.000 Menschen aus den zehn neuen Mitgliedsstaaten nach Deutschland zugewandert, erklärt Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt: "Das heißt, es hat sich durch die Osterweiterung bisher nichts geändert. Das liegt allerdings daran, dass wir Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch genommen haben. Mit anderen Worten: Wir haben unseren Arbeitsmarkt nicht wirklich geöffnet. Trotzdem leben in Deutschland rund 500.000 Menschen aus den zehn neuen Mitgliedsländern, und die Hälfte davon ist erwerbstätig. Diese Zahl ist allerdings nicht so groß, dass sie in irgendeiner Form bedeutend in Deutschland zur Arbeitslosigkeit oder zur Lohnsenkung beiträgt."

Auch im Falle Bulgariens und Rumäniens seien offene Grenzen ratsam: Man erwarte, dass vorwiegend südeuropäische Länder wie Spanien und Italien davon betroffen werden, sagt Herbert Brücker. Angst vor zu viel Zuwanderung hält er für nicht angemessen: "Selbst wenn wir eine größere Zuwanderung bekommen - größer heißt in einer Größenordnung von 100.000 pro Jahr, was schon sehr viel wäre - zeigen eigentlich die gegenwärtigen Ergebnisse in Großbritannien, dass der Arbeitsmarkt eher davon profitiert als Schaden nimmt."

Arbeitsmarkt Schritt für Schritt liberalisieren

Dies ist für den deutschen Experten Grund genug, zu empfehlen, Deutschland solle seinen Arbeitsmarkt öffnen - auch für Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien: "Wir haben in Deutschland jetzt eine generelle Diskussion, ob wir weiterhin Übergangsfristen in Anspruch nehmen oder nicht. Ich persönlich würde aufgrund der Erfahrung, die wir in anderen Ländern gemacht haben, dafür plädieren, den Arbeitsmarkt jetzt zu öffnen. Vielleicht noch nicht vollständig, aber zumindest eine großzügige Quote einzuführen und dann, wenn wir sehen, dass diese Quote nicht ausgefüllt ist, den Arbeitsmarkt völlig zu liberalisieren. Aus ökonomischer Perspektive gibt es eigentlich im Moment wenig Grund, diese Öffnung zu verschleppen".

Emiliyan Lilov
DW-RADIO/Bulgarisch, 13.9.2006, Fokus Ost-Südost