Euro für alle noch weit weg
15. September 2017Für Pierre Moscovici war das Treffen mit den Finanzministern der Euro-Währungsgemeinschaft im estnischen Tallinn eine Art Bewerbungsgespräch. Der EU-Kommissar, der heute für den Euro zuständig ist, möchte höher hinaus und Euro-Finanzminister werden. "Ich könnte das machen, weil ich ja nicht nur EU-Kommissar bin, sondern auch fünf Jahre französischer Finanzminister war", gab Moscovici selbstbewusst zu Protokoll. "Ich kenne das Geschäft, aber es geht nicht um mich als Person", sagte Moscovici lächelnd. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte in seiner Grundsatzrede zur Lage der EU die Schaffung des neuen Amtes eines Euro-Finanzministers vorgeschlagen. Der soll nach Junckers Vorstellungen, die vor allen auf Vorschlägen aus Frankreich fußen, sowohl alle Kompetenzen eines EU-Kommissars haben, als auch Chef der Eurogruppe werden, also der Runde der europäischen Finanzminister, in deren Ländern mit dem Euro bezahlt wird. Diese Doppelfunktion, die Verwaltung (EU-Kommission) und Gesetzgebung (EU-Ministerrat) vermischen würde, sahen in Tallinn bei den Beratungen nur wenige Minister positiv.
"Posten sind nicht so wichtig"
Der heutige Chef der Eurogruppe, der scheidende niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, ist von Junckers Konzept nicht überzeugt. "Wir sollten vom anderen Ende her denken. Anstatt über Institutionen zu diskutieren, sollten wir darüber sprechen, wo es in der Währungsunion hapert, zum Beispiel bei der finanziellen Widerstandsfähigkeit, bei der Solidarität. Also erst die Probleme und dann die Posten", sagte Jeroen Dijsselbloem, dessen Mandat spätestens im Januar 2018 enden wird. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bremste das Streben von EU-Kommissar Pierre Moscovici nach einem neuen Job mit mehr Kompetenzen ebenfalls: "Was hat der europäische Finanzminister für Rechte und Befugnisse? Das ist die entscheidende Frage. Der Titel ist nicht so wichtig. Darüber muss man auch reden." Nur der französische Finanzminister Bruno Le Maire stellte sich offen hinter ambitionierte Reformen der Euro-Zone, die EU-Kommissionschef Juncker vorgeschlagen hatte. Nach den Wahlen in Deutschland, die in zehn Tagen stattfinden, und mit der neuen Regierung in Frankreich, gebe es genügend Schwung, um Neues zu wagen, schwärmte Le Maire in Tallinn. Außerdem gehe es der Euro-Zone wirtschaftlich besser. In guten Zeiten müsse man sich mit der Zukunft beschäftigen, forderte der französische Minister.
EU-Finanzminister soll Wirtschaftspolitik machen
EU-Währungskommissar Pierre Moscovici skizzierte die Kompetenzen des angestrebten Amtes in leuchtenden Farben. Der europäische Finanzminister brauche ein eigenes Budget, parlamentarische Kontrolle und die Werkzeuge, um wirklich europäische Wirtschaftspolitik machen zu können. "Das ist auch eine Frage der Demokratie", meinte Moscovici, der das Europaparlament stärker einbinden will. EU-Diplomaten meinten allerdings, das sei ein Vorschlag, der nicht morgen und auch nicht übermorgen Realität werden würde. Die Befürworter des "Doppelhutes", also der Zugehörigkeit des möglichen neuen Finanzministers zur EU-Kommission und zum Ministerrat, führen die "Hohe Beauftragte" für die EU-Außenpolitik als Beispiel an. Federica Mogherini ist gleichzeitig stellvertretende Präsidentin der EU-Kommission und Leiterin des EU-Ministerrates der Außenminister. "Hat sich darüber jemand beschwert bisher?", fragte der französische Finanzminister Bruno Le Maire rhetorisch.
"Man kann niemanden in den Euro zwingen"
Auch bei der Frage der Erweiterung der Euro-Zone, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach seiner Rede in Straßburg jetzt schnell vorantreiben will, schieden sich bei den Finanzministern die Geister. Juncker sei "ein bisschen missverstanden" worden, meinte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. "Für die Mitgliedschaft in der Währungsunion sind wirtschaftliche Bedingungen erforderlich. Solange man die nicht erfüllt, ist es nicht im Interesse eines Landes, Mitglied in der Währungsunion zu werden." Auch der EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis widersprach der Auffassung, dass schon bald neue Länder in die Währungsgemeinschaft aufgenommen werden können. "Im Moment ist kein einziges Land im Warteraum für den Euro", sagte Dombrovskis vor Journalisten in Tallinn. Um den Euro einführen zu können, müsste ein Staat seine Währung für mehrere Jahre in einem festen Kurs an die Gemeinschaftswährung koppeln, eine bestimmte Inflationsrate einhalten, Verschuldungskriterien erfüllen. Nur Dänemark ist zurzeit Mitglied im Wechselkursmechanismus II, will aber den Euro nicht einführen.
Obwohl die EU-Staaten im Prinzip alle vertraglich verpflichtet sind, irgendwann den Euro einzuführen, haben einige erklärt, dass sie ihn nicht haben wollen. Dazu gehören Dänemark, Schweden, Tschechien und Polen. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem machte klar, dass man die Währungsumstellung nicht beliebig beschleunigen könne, nur weil man die politische Einigung vorantreiben wolle. "Die Euro-Zone wird nach und nach erweitert. Es kommt vor allem auf die Entwicklung in diesen Ländern an, auf deren Willen und den der Bevölkerung, auch Mitglied in der Währungsunion werden zu wollen. Wir können da nichts erzwingen." Der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatte Jean-Claude Juncker nach seiner Rede zur Euro-Erweiterung einen unverbesserlichen Romantiker mit Visionen genannt. Diese Kritik wollte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem in Tallinn nicht wiederholen. "Mein Premierminister hat auch Visionen", merkte er an. "Aber andere."