Macrons Ärger mit der Europaflagge
19. Oktober 2017Französische Journalisten kommentierten es in einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung: Vier Minuten und 20 Sekunden! Eine Ewigkeit. Vier Minuten und 20 Sekunden vergingen an diesem 7. Mai 2017 vom ersten Schritt Emmanuel Macrons in den Innenhof des Louvre bis zum Beginn der Dankesrede des frisch gewählten neuen französischen Staatspräsidenten. Vier Minuten und 20 Sekunden, in denen der 39-Jährige, eingefangen von den Teleobjektiven der Fernsehsender, alleine über den historischen Platz im Herzen von Paris schreitet, während im Hintergrund Beethovens Ode an die Freude erklingt - die Hymne des vereinten Europas.
Emmanuel Macron würde Europa ins Zentrum seiner Politik rücken. Das war die Botschaft des 39-Jährigen am Wahlabend. Unumstritten ist Macrons Europa-Euphorie in Frankreich allerdings nicht. Schon die europäischen Symbole bringen Politiker auf der linken und rechten Seite des politischen Spektrums in Rage. So gehört es längst zur politischen Tradition, dass der rechtsextreme Front National nach Kommunalwahlerfolgen umgehend die Europafahne vor den eroberten Rathäusern entfernen lässt.
Feindbild Fahne
Und auch in der Nationalversammlung sorgt die Europafahne für heftige Debatten. "Müssen wir das hier wirklich ertragen?", entfuhr es dem selbsterklärten Oppositionsführer Jean-Luc Mélenchon bei der Besichtigung des Parlamentes als frisch gewählter Abgeordneter im Juni. "Hier tagt die französische Republik und nicht die Jungfrau Maria", mokierte sich der Chef der Linkspopulisten von La France Insoumise (LFI). Eine Anspielung auf den französischen Maler Arsène Heitz, der im Europarat als Mitarbeiter im Postdienst gearbeitet hat und sich als Erfinder der Europafahne sieht. In einem Interview hat der Straßburger einmal geäußert, der Heiligenschein auf Marienbildern habe ihn zu dem Sternenkranz inspiriert. Und auch die Zahl der zwölf Sterne wird immer wieder mit einem christlichen Hintergrund (zwölf Apostel) in Verbindung gebracht.
In Wirklichkeit ist die Sache allerdings komplizierter. Neben Heitz hatten auch andere Graphiker vergleichbare Konzepte mit Sternen auf blauem Untergrund beim Europarat eingereicht. Und auch die Zahl der Sterne hat eine besondere Geschichte. Ursprünglich sollte die Fahne 15 Sterne haben, für die damals 15 Mitglieder des Europarates, der 1955 eine eigene Fahne bekam. Doch damit wäre das Europarats-Mitglied Saarland als unabhängiger Staat gezählt worden. Bonn protestierte. Mit 14 Sternen wiederum konnte Paris aus dem gleichen Grund nicht leben, und die Unglückszahl 13 wollte auch niemand vorschlagen. So wurden es schließlich die heute bekannten zwölf Sterne, die erst seit 1986 vor den Brüsseler Institutionen der EU wehen.
Streit um Symbole
Vermeintlich christlich und ein verhasstes Symbol für die EU-Fremdbestimmung: Für den eingefleischten Laizisten Jean-Luc Mélenchon, der bis 2017 immerhin acht Jahre lang für die Linke im Europaparlament saß, Grund genug, die Fahne aus dem Parlament in Paris zu verbannen. Doch der Antrag seiner Fraktion wurde Anfang Oktober abgeschmettert. Die Fahne bleibt. Zumal sie erst nach einem großen politischen Kraftakt dort hingelangt ist. Noch während der Amtszeit von Staatspräsident Nicolas Sarkozy von 2007 bis 2012 sperrte sich der ebenfalls konservative Parlamentspräsident gegen das Ansinnen. Erst unter Nachfolger François Hollande setzte die sozialistische Parlamentsmehrheit das in Frankreich geliebte und gehasste Symbol durch.
Macrons Unterschrift
Doch wofür steht das blau-goldene Banner, das 365 Tage im Jahr hinter dem erhöhten Sitzplatz des Parlamentspräsidenten im Palais Bourbon hängt? Gesetzlich anerkannt hat Frankreich die Fahne jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Als die Franzosen 2005 die EU-Verfassung in einem Volksentscheid ablehnten, war dies auch ein Protest gegen den Weg der Europäischen Union zu einem staatsähnlichen Gebilde. Aus dem heute gültigen Lissabon-Vertrag wurden die Symbole der Staatlichkeit wieder getilgt - auch auf Druck Frankreichs. Lediglich die Erklärung Nr. 52 zur Regierungskonferenz des Lissabon-Vertrags erwähnt Hymne, Fahne und den Europa-Leitspruch "in Vielfalt geeint". Doch dieses Dokument haben lediglich 16 EU-Staaten unterzeichnet. Frankreich gehörte bislang nicht dazu.
Beim EU-Gipfel in Brüssel will Staatspräsident Emmanuel Macron dieses Versäumnis nachholen. Und sogar bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris soll die EU-Fahne neben den nationalen Flaggen gehisst werden - auch wenn die Teilnahme eines EU-Sportlerteams nicht absehbar ist. Im französischen Parlament ist die Präsenz der Europafahne aber auch nach Macrons Unterschrift zur Erklärung Nr. 52 nicht auf Dauer festgeschrieben. Rechtlich bindend ist die Erklärung Nr. 52 nämlich nicht.