EU: Flüchtlingskinder verteilen - einige
13. März 2020Im Schatten der Corona-Epidemie ist die krisenhafte Entwicklung an der türkisch-griechischen Grenze, also einer Außengrenze der EU, schon fast wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Noch immer, und das nun schon seit zwei Wochen, versuchen Nacht für Nacht Hunderte Flüchtlinge und Migranten, aus dem Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland auf die griechische Seite zu gelangen. Sie wenden dabei Gewalt an, werfen Brandsätze oder Tränengas-Granaten. Die griechische Polizei und griechische Grenzsoldaten schlagen entsprechend hart zurück, um die Grenze dicht zu halten.
"Die Außengrenze der EU muss geschützt werden", war heute in Brüssel bei der Sitzung der Innenminister die einhellige Meinung. Das sei bisher auch ganz gut gelungen, meinte die zuständige EU-Kommissarin für Inneres, die Schwedin Ylva Johansson, nach den Beratungen.
"Weniger Einreisen"
"In der vergangenen Woche sind schon wesentlich weniger Migranten an die Grenze gekommen", freute sie sich. Der kroatische Innenminister Davor Bozinovic gab als EU-Ratsvorsitzender an, nur 2300 Menschen hätten die Einreise nach Griechenland in den vergangenen zwei Wochen tatsächlich geschafft.
Aus Sicht der EU war die Abwehr erfolgreich. Nach griechischen Angaben wurden 45.000 sogenannte illegale Grenzübertritte verhindert. Die EU-Kommissarin bestand aber darauf, dass diesen 2300 Menschen, die den Fuß auf EU-Boden setzen konnten, nun auch ein faires Asylverfahren zustehe. Sie habe ihren griechischen Gesprächspartnern bei ihrem Besuch am Donnerstag in Athen deutlich gemacht, dass man die Eingereisten nicht einfach wieder in die Türkei zurückschieben könne.
Die Türkei hat damit aufgehört, Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten kostenlos in Bussen an die Grenze zu schaffen, mit dem falschen Versprechen, sie sei in die EU offen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündet weiterhin, dass die türkische Seite der Grenze für Flüchtlinge und Migranten offen sei und Griechenland sowie die übrigen EU-Staaten sie aufnehmen müssten.
Türkei will neuen Deal
Die Türkei will einer Verlängerung des sogenannten Flüchtlingsdeals mit der EU von 2016 nur zustimmen und die Grenze gemäß des Abkommens wieder schließen, wenn die EU mehr Hilfe zusagt. Die EU lehnt das als Erpressung ab, ist aber bereit, weiter für die Versorgung der Flüchtlinge und Migranten in der Türkei zu bezahlen. Nach Angaben der EU-Kommission sind bislang 4,2 der versprochenen sechs Milliarden Euro an Hilfsorganisationen in der Türkei ausgezahlt worden. Die türkische Seite bestreitet diese Summe.
Für den nächsten Dienstag hat Präsident Erdogan zu einem Spitzengespräch über die Flüchtlinge aus Syrien und Migranten aus anderen Ländern nach Istanbul eingeladen. Zugesagt haben die Eingeladenen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron, wohl noch nicht.
Die elenden Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln, die Griechenland und der EU für 6000 Menschen angelegt haben, sollen verbessert werden, beschlossen die EU-Innenminister.
Angebot: Rückkehr gegen Geld
Inzwischen warten in den Lagern 37.000 Menschen auf ihre Abschiebung in die Türkei oder eine Weiterreise auf das griechische Festland. 5000 von ihnen möchte die EU-Innenkommissarin Johansson jetzt mit einem speziellen Angebot von den Inseln locken. Jeder, der sich freiwillig auf die Rückreise in sein Heimatland begibt, erhält von der EU 2000 Euro Prämie bar auf die Hand. Das Angebot gilt nur für vier Wochen und soll vor allem für Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Irak oder Iran interessant sein. Sie haben in Griechenland sowieso nur geringe Chancen, als Flüchtlinge oder Asylbewerber anerkannt zu werden. Wie dieses Geschäft "Rückkehr gegen Bares" genau abgewickelt werden soll, ist unklar.
Mehr Details legten die EU-Innenminister zu einem anderen Hilfsangebot für Griechenland fest. Sie billigten das Vorhaben, 1600 unbegleitete Flüchtlinge unter 18 Jahren direkt aus den griechischen Flüchtlingslagern in sieben EU-Staaten zu übersiedeln. Deutschland will davon mit einigen hundert Kindern den größten Teil aufnehmen, die sechs übrigen willigen EU-Mitglieder aus Westeuropa teilen sich den Rest. Die genauen Kriterien, nach denen die Minderjährigen von EU-Beamten und UN-Experten ausgesucht werden sollen, nannte EU-Innenkommissarin Johansson nicht.
Kinder vor dem Elend retten - aber nur jedes Dritte
"Auf jeden Fall kann es sehr schnell gehen," kündigte sie an, "schon nächste Woche könnte Luxemburg einige Kinder aufnehmen." Bei einer speziellen Konferenz der EU zu minderjährigen Flüchtlingen im Mai sollen mehr aufnahmewillige Länder gefunden werden. Nach offiziellen griechischen Angaben leben zurzeit nämlich bis zu 5500 Minderjährige ohne Eltern oder Verwandte in Flüchtlingslagern.
Dies ist nicht der erste Versuch der EU, eine Verteilung durchzuziehen. In der Vergangenheit wurde die versprochene Zahl nie erreicht, weil die Kriterien für die Umsiedlung nicht erfüllt wurden oder schlicht das Alter der Kinder nicht genau ermittelt werden konnte. Manche Kinder warten schon seit Jahren auf ihre Verlegung aus Griechenland. "Manche sind darüber 18 Jahre alt geworden", sagte EU-Kommissarin Johansson mit einem bedauernden Schulterzucken. Die sind für eine Umsiedlung jetzt leider zu alt.
Vorschläge zum Asylrecht im April
Bereits bei ihrem Besuch in Athen am Donnerstag räumte die schwedische Kommissarin ein, dass die EU auf Migrationsbewegungen wie die aktuelle nicht ausreichend vorbereitet sei. "Wir haben nach wie vor keine einheitliche Politik für Asyl und Migration", sagte Ylva Johansson. Im April will sie neue Vorschläge für ein EU-Asylrecht vorlegen. Das ist dann der dritte Anlauf der EU-Kommission seit der großen Flüchtlingseinreise von 2015, nach der alle Mitgliedsstaaten Besserung gelobt hatten. Bislang sind alle Versuche, Flüchtlinge und Migranten nach Quoten zu verteilen oder ein reformiertes Asylrecht zu schaffen, von den Mitgliedsstaaten abgelehnt worden.