EuGH weist Polen erneut zurecht
2. März 2021Zum wiederholten Mal hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg Teile der Justizreform in Polen für nicht konform mit dem Europarecht erklärt. Die Richter und Richterinnen in Luxemburg entschieden an diesem Dienstag, dass der Weg, wie in Polen höchste Richter bestimmt werden, die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit eben dieser Richter gefährden könnte. Damit bekamen fünf Bewerber um ein Richteramt Recht, die von dem neu zusammengesetzten Gremium zur Richterbestimmung abgelehnt worden waren. Seit 2017 werden hohe Richter in Polen vom Landesjustizrat ausgesucht, der vom polnischen Parlament und nicht mehr von den Richtern selbst gewählt wird. Damit hat immer die Mehrheit im Parlament das Zugriffsrecht auf die Richterbestimmung. Gegen die Entscheidungen des Landesjustizrates gibt es keine ausreichenden Rechtsmittel.
Polen muss EU-Recht akzeptieren
Dieses System, so die EuGH-Richter in ihrem Urteil, sei sehr bedenklich und gefährde die Rechtsstaatlichkeit, die jeder Mitgliedsstaat der EU durch Beitritt zur Union garantieren muss. Das Oberste Gericht sollte Normen im polnischen Recht, die nicht europarechtskonform sind, nicht beachten, urteilte der EuGH. Bei diesen europäischen Rechtsnormen handele es sich nicht um "ausländisches Recht", wie die polnische Regierung in Luxemburg argumentierte hatte, sondern um ein gemeinschaftliches Recht, das Polen durch seinen Beitritt zur EU übernommen habe.
Außerdem habe sich Polen mit all seinen Institutionen der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes unterworfen. Die rechtsstaatliche Ordnung in der EU könne nur garantiert wenn, wenn alle Regierungen und auch alle Gerichte die Urteile des Europäischen Gerichtshofes anerkennten und durchsetzten.
Eine Kette von Urteilen
Der Europäische Gerichtshof hatte bereits in zwei anderen Verfahren Teile der umstrittenen Justizreform in Polen verworfen. Der EuGH hatte die Regierung und das Parlament in einer Eilentscheidung im vergangenen Jahr aufgefordert, eine Disziplinarkammer zur Beurteilung von Richtern sofort aufzulösen. Diese Disziplinarkammer gefährde die Unabhängigkeit der Richter und führe die Rechtsstaatlichkeit ad absurdum.
In einem anderen Fall hatte der EuGH 2019 die Herabsetzung des Pensionsalters für Richter verworfen und so der Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes ermöglicht, ihr Amt weiter auszuüben. Richterin Malgorzata Gersdorf war der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ein Dorn im Auge und sollte durch frühzeitige Pensionierung entfernt werden. Mittlerweile hat Gersdorf ihre Amtszeit regulär beendet und wurde durch eine der nationalkonservativen Regierung nahe stehende Richterin ersetzt.
EU-Kommission muss wohl erneut klagen
Die PiS-Regierung weigert sich, das Urteil des EuGH zur Auflösung der Disziplinarkammer umzusetzen. Die Kammer arbeitet bis heute weiter. Deshalb bereitet die Europäische Kommission in Brüssel eine weitere Klage gegen Polen vor. Der zuständige Justiz-Kommissar Didier Reynders sagte im Januar: "Ich bin entschlossen, starke Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Gerichte in der EU ihre Tätigkeit unabhängig ausüben können, so wie das im EU-Recht festgelegt ist."
Der stellvertretende polnische Justizminister Sebastian Kaleta verbat sich die "Einmischung in die Strukturen der polnischen Justiz, weil diese in die alleinige Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt."
Gewinnt die Kommission diese Klage, könnte der EuGH empfindliche Geldstrafen gegen den polnischen Staat verhängen, bis das ursprüngliche Urteil erfüllt wird.
Kritik von vielen Seiten
Die Rechtsstreitigkeiten in Luxemburg werden vor dem Hintergrund eines laufenden Verfahrens zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen nach Artikel 7 der EU-Verträge geführt. Der Rat der EU, also die Mitgliedsstaaten, beraten seit Jahren über die vermuteten Verstöße in Polen, konnten sich bislang aber nicht zu weiteren Schritten durchringen.
Im Laufe des Verfahrens wäre eine einstimmige Entscheidung nötig, um die polnische Regierung zu verurteilen. Ungarn, das einem ähnlichen Verfahren unterzogen wird, hat mehrfach angekündigt, ein Veto zugunsten der polnischen Brüder im Geiste einlegen zu wollen.
Um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze wenigstens bei der Auszahlung von EU-Geldern an die Mitgliedsstaaten durchzusetzen, sind mit den neuen Haushaltsrahmen der EU neue Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit eingeführt worden. Wie weit diese in der Praxis wirksam sind, muss sich noch erweisen. Polen und Ungarn, als die wahrscheinlich betroffenen Staaten, legen die Verfahrensregeln vorsorglich öffentlich schon einmal anders aus als der Rest der EU-Staaten oder die EU-Kommission.
Mit dem heutigen Urteil aus Luxemburg ist also nur ein weiterer Schritt im Ringen mit Polen und seiner rechtsstaatlichen Ordnung getan. Beigelegt ist der Zwist, der in Augen vieler Beobachter fundamentale Bedeutung für die EU hat, damit noch nicht.
Kritik an den Justizreformen, die nach Meinung der Regierungspartei PiS das kommunistische Erbe und Korruption beseitigen sollen, gibt es nicht nur von der EU, sondern auch vom Europarat in Straßburg. Die sogenannte "Venedig-Kommission" des Europarates hatte Polen mehrfach scharf kritisiert, zuletzt im Frühjahr 2020. Die Justizreform bringe polnische Richter, die mit Disziplinarmaßnahmen bei regierungskritischen Urteilen rechnen müssten, in eine "unhaltbare" Position, schrieb die Kommission des Europarates in einem Eil-Gutachten.