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Politik

EU-Gipfel: kleinkarierter Streit

9. März 2017

Ein Krach könnte den gesamten Gipfel überschatten: Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo hat gedroht, das Treffen platzen zu lassen, wenn ihr Landsmann Donald Tusk als EU-Ratspräsidentwiedergewählt wird.

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Belgien EU-Gipfel in Brüssel | Beata Szydlo
Beata Szydlo: ohne unsere Zustimmung läuft nichtsBild: Reuters/F. Lenoir

Für die Wiederwahl von Ratspräsident Donald Tusk hatte die Tagesordnung eigentlich nur wenige Minuten vorgesehen, eine reine Formsache, denn die meisten Regierungen wollen Tusk bis Ende 2019 behalten. Aber der Liberale passt der stockkonservativen Ministerpräsidentin Szydlo von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht. Sie behauptet, Tusk mische sich von Brüssel aus in die polnische Innenpolitik ein. Tatsache ist, dass Warschau mit Brüssel – allerdings vor allem mit der Kommission – im Clinch um rechtsstaatliche Fragen liegt. Im Hintergrund spielt wohl auch eine Rolle, dass der PiS-Parteivorsitzende Jaroslaw Kaczynski seine Wahlniederlage im Jahr 2007 gegen Tusk nie verwunden hat, es geht also auch um eine persönliche Fehde.

"Nichts kann ohne unsere Zustimmung getan werden", sagte Szydlo bei ihrem Eintreffen in Brüssel. Als Alternative hat sie den polnischen Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski vorgeschlagen – und stößt damit auf allgemeines Unverständnis. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite hat dazu spitz bemerkt, der Posten sei "kein polnisches Eigentum", die polnische Regierung könne also, wenn sie Tusk ablehne, nicht beanspruchen, dann einen anderen Polen auf den Posten zu hieven. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault warf der polnischen Regierung im Sender France Info vor, sich "aus innenpolitischen Gründen" querzustellen. Solche Dinge dürften "keine Folgen für das Funktionieren Europas haben". Offensichtlich sind mehrere Regierungen genervt von Warschau.

Das letzte, was die EU gerade braucht

Maltas Regierungschef Joseph Muscat, dessen Land derzeit den Vorsitz im Rat der EU-Mitgliedstaaten hat, gab sich in Brüssel ungerührt von der polnischen Forderung, die Abstimmung zu verschieben. Für den Ablauf der Sitzung gebe es "klare Regeln" und diese würden "nicht von mir, von einer Regierung oder einem Präsidenten" vorgegeben, so Muscat kurz vor Beginn des Gipfeltreffens.

Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlt sich bereits zur Krisenbewältigung berufen. Sie hat sich noch vor Gipfelbeginn mit Szydlo getroffen, um zu vermitteln, hatte aber aus ihrer Vorliebe für Tusk keinen Hehl gemacht: Er sei "ein Zeichen der Stabilität der gesamten Europäischen Union". Die sieht sie mehr denn je in Gefahr. Es ist unklar, wie die Sache weitergeht.

Tusk könnte auch ohne die Unterstützung seines Herkunftslandes wiedergewählt werden, hier ist keine Einstimmigkeit notwendig. Szydlo könnte sich allerdings, wenn sie ganz stur bleibt, weigern, den Gipfelschlussfolgerungen zuzustimmen, die nur einstimmig getroffenen werden, und diese damit blockieren. Das hätte zwar kaum praktische Auswirkungen, weil wichtige Beschlüsse bei diesem Gipfel nicht zu erwarten sind. Allerdings wäre ein bis zum letzten ausgetragener kleinkarierter Streit um Posten im Moment das letzte, was die EU braucht: Der britische Ausstieg steht an, und kurz vor wichtigen Wahlen in den Niederlanden und Frankreich grassiert eine Anti-EU-Stimmung, die an die Substanz gehen könnte, wenn die Rechtspopulisten gewinnen. Deswegen versuchen Merkel und andere um Einheit bemühte Politiker, eine Eskalation zu vermeiden.

Belgien EU-Gipfel in Brüssel | Donald Tusk
Donald Tusk: alle anderen wollen ihn behaltenBild: Reuters/E. Vidal

Keine Feierlaune

Der Streit um Tusk überschattet auch weitergehende Überlegungen, wie es in der EU nach dem Brexit weitergehen soll. Dazu hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Möglichkeiten genannt, die von weniger Europa über den Status quo bis zu verstärkter Integration für alle reichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt ein sogenanntes "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten". In ihrer Regierungserklärung in Berlin sagte sie: "Die vor uns liegenden Aufgaben sind zu groß, als dass wir in Europa immer nur mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner arbeiten können." Will heißen: Die Staaten, die auf bestimmten Feldern eine engere Zusammenarbeit wollen, sollen damit vorangehen können. Die Angst vor allem der Osteuropäer ist, dass sich dann wieder ein exklusiver Klub vor allem westlicher Altmitglieder bildet. Diesem Einwand entgegnet Merkel, jeder, der wolle, könne mitmachen: "Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist einladend und nicht ausschließend."

Am Freitag wollen die Staats- und Regierungschefs eine Erklärung für ihren Sondergipfel Ende des Monats in Rom formulieren. Der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge soll eigentlich ein Zeichen der Selbstvergewisserung sein, ein großes europäisches Fest. Wie es im Moment aussieht, ist niemandem nach Feiern zumute.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik