EU-Gipfel: "Wir müssen besser werden"
16. September 2016Die politischen Schwergewichte, allen voran Angela Merkel, machen deutlich, wo es lang geht: "Wir sind in einer kritischen Situation." Man könne nicht alle Probleme der EU lösen, aber "wir wollen sie mit Taten besser machen", sagt die Bundeskanzlerin beim Eintreffen. Die Sonne strahlt über der Burg von Bratislava, wo sich die europäischen Regierungschefs zum Krisentreffen versammeln, aber die Stimmung ist bestenfalls bemüht positiv.
Das deutsch-französische Projekt
Deutschland und Frankreich haben sich trotz aller Meinungsverschiedenheiten auf einen Plan geeinigt: Sie wollen mehr Zusammenarbeit bei der Verteidigung, bei der inneren Sicherheit, aber "man wolle auch zeigen, dass wir besser werden können bei Wachstum und Arbeitsplätzen", sagt Angela Merkel. Es müssten vor allem Chancen für junge Menschen geschaffen werden. Was heute in Bratislava vereinbart werde, solle in einem Denkprozess bis zum 60. Geburtstag der Römischen Verträge im März zu einer Erneuerung der EU führen.
Frankreichs Präsident Francois Hollande zitiert vom gleichen Sprechzettel: Es geht um den Schutz der Bürger, militärisch und an den Außengrenzen sowie bei der Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Er nennt Sicherheit und Verteidigung - Frankreich leiste dabei am meisten, wolle aber nicht allein bleiben. Und man müsse einen Plan für die Zukunft machen, zeigen, dass die EU ihre Rolle in der Welt und für die eigenen Bürger spielt.
Die Lage ist ernst
Einige Regierungschefs zeigen mehr als andere, wie schwierig die Lage wirklich ist: "Wer sagt, alles ist gut, braucht eine Brille", sagt der Luxemburger Xavier Bettel. Die EU müsse zeigen, dass sie Lösungen liefern kann. Und das ist hier das wiederkehrende Thema: Konkrete Antworten auf echte Probleme geben. Und weil kleine Länder bei Gipfeltreffen häufig mehr von der Wahrheit durchscheinen lassen als große, deutet Bettel nebenbei auch an, was passiert, wenn es mit der gemeinsamen Marschrichtung nicht klappt: "Wir müssen sehen, mit wem wir vorangehen können." Es gibt in Bratislava eine Kerngruppe von Mitgliedsländern, die zur Einigung entschlossen sind. Ob mittelfristig alle mitmachen, ist offen.
Ein paar deutliche Worte kommen auch stets von der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite: "Es gibt ernsthafte äußere Herausforderungen, eine davon ist der Brexit." Aber in Bratislava gehe es nicht um eine Botschaft an die Briten, sondern um die EU der 27: "Wir können uns keine Auflösungserscheinungen leisten, wir müssen Lösungen finden."
Der Streit liegt unter der Oberfläche
Der österreichische Kanzler Christian Kern bringt die Flüchtlingsfrage wieder ins Spiel, die für andere auf der Tagesordnung weit nach unten gerutscht ist: "Es geht um die echten Probleme, Sicherheit, Migration und soziale Fragen." Beim Umgang mit Flüchtlingen hatte sich Österreich in jüngster Zeit stark den osteuropäischen Nachbarn angeschlossen. Eigentlich soll dieser Streit hier nicht aufgewärmt werden, schließlich sucht man positive Ergebnisse. Allerdings fügt Kern noch hinzu: "Wer die EU liebt, will sie verändern." Das könnte man auch als Drohung verstehen.
Die größte Veränderung planen die Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien). Sie kommen mit einem eigenen Vorschlag für eine "kulturelle Gegenrevolution" in der EU und wollen alle Macht in die Mitgliedsstaaten zurückholen. Informeller Sprecher der vier osteuropäischen Länder ist Viktor Orban, der die Provokation liebt und einmal mehr den Bau von Zäunen als einziges Mittel gegen Flüchtlinge und Migration fordert. Parlamentspräsident Martin Schulz nennt sein Treffen mit dem ungarischen Premier am Morgen dann auch "konfrontativ". Orban will im Sinne des neuen Rechtspopulismus Europa zurückdrehen auf den Zustand bei seiner Gründung. Schulz sagt dagegen: "Die transnationale Demokratie ist eine historische Errungenschaft, ich bin gegen die Renationalisierung Europas."
Von der ganz anderen Seite kommt der Grieche Alexis Tsipras: Er hatte vor einer Woche den Club Med wieder belebt, die Gruppe der Mittelmeerländer, die den Stabilitätspakt mit seinem Sparzwang abschaffen wollen: "Europa braucht eine neue Vision, wir brauchen ein soziales Europa mit Wachstum und Wohlstand für alle." Aber bislang wird das große Geldausgeben noch von einer Mehrheit der Euro-Länder verhindert.
Start für einen Reformprozess
Am Ende dieses Tages werden die Regierungschefs sich notgedrungen einigen. Ob das Ergebnis nun "Bratislava-Prozess" oder "Bratislava-Agenda" heißen wird: Die Hauptstadt der Gastgeber wird damit in die EU-Geschichte eingehen. Auch der slowakische Premier Robert Fico, der selbst in der Flüchtlingsfrage den Hardliner hervorkehrte, betont inzwischen den Zwang zur Einigkeit. Mit einer Reihe von konkreten Projekten für die Sicherung der Außengrenzen, bei der Verteidigung und auf dem Arbeitsmarkt will die EU der 27 Handlungsfähigkeit zeigen und das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen.