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Kritik an deutscher Lohnpolitik

29. April 2013

Der EU-Sozialkommissar fordert Deutschland zu einem radikalen Kurswechsel auf: Er plädiert für höhere Löhne und flächendeckende Mindestlöhne. Zudem sollen die Euro-Krisenländer mehr Zeit für den Schuldenabbau bekommen.

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Laszlo Andor, EU-Kommissar für Arbeit (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Georges Gobet/AFP/Getty Images

"Sparen allein schafft kein Wachstum", sagt EU-Sozialkommissar László Andor in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Dazu brauche es zusätzliche Investitionen und Nachfrage. Schwächelnde Volkswirtschaften wie Spanien, Italien oder Frankreich müssten mehr Zeit bekommen, ihre Haushalte zu sanieren. "Wachstum lässt sich anregen, wenn Länder mehr Zeit zur Defizitsenkung bekommen, damit sie mehr investieren können", sagte der Ungar Andor. "Wenn man kein Wachstum zulässt, sehe ich nicht, wie der Schuldenstand sinken soll."

Andor fordert für Deutschland höhere Löhne

Vom deutschen Modell, Wettbewerbsfähigkeit im Exportgeschäft durch moderate Löhne zu erkaufen, riet Andor ab. Vielmehr sollten die heimische Nachfrage durch höhere Löhne angeregt und auf breiter Basis Mindestlöhne eingeführt werden. Belgien und Frankreich beschwerten sich schon über deutsches Lohndumping, berichtete Andar. "Angesichts der hohen Exportüberschüsse ist es überhaupt nicht zu rechtfertigen, dass die Deutschen diesen Lohnwettbewerb beibehalten", sagte der EU-Kommissar. In der Eurozone müssten auch die Überschussländer ihre Politik ändern, nicht nur die Krisenstaaten. "Wenn nicht, driftet die Währungsunion auseinander. Der Zusammenhalt ist schon halb verloren."

Bundesbank opponiert

Die Bundesbank warnte jedoch im Februar vor überzogenen Lohnerhöhungen. Stiegen die Gehälter stärker als es die Produktivität zulasse, würden Firmen Jobs abbauen und umgehend weniger investieren. Stark anziehende Löhne würden die Nachfrage der Verbraucher nur vorübergehend ankurbeln. Langfristig würden die realen Einkommen und der private Konsum sogar sinken. Letztlich würde dies die Binnennachfrage und die gesamte Wirtschaftskraft bremsen, argumentieren die deutschen Experten.

Wie im 19. Jahrhundert

Andor äußerte zudem die Befürchtung, dass es eine Massenmigration vom Süden der EU in den Norden geben könnte, wenn sich die Situation nicht verbessere. "Manche Leute vergleichen die Situation mit Amerika im 19. Jahrhundert, als es nach dem Bürgerkrieg eine Massenmigration vom Süden in den prosperierenden Norden gab. Um das zu vermeiden ist es nötig, in den Krisenstaaten Wachstum zu schaffen", sagte Andor. Zugleich warnte er die Bundesregierung, die Zuwanderung von Armutsflüchtlingen zu dramatisieren: "Wir schätzen, dass wegen der Freizügigkeit ab 2014 nur 30.000 Rumänen mehr nach Großbritannien gehen, für Deutschland sollten die Zahlen ähnlich sein. Dies ist eine sehr aufgeblasene Diskussion."

rbr/qu (Süddeutsche Zeitung, rtr, afpd)