Billionen-Bingo der EU beginnt
2. Mai 2018Die Rahmenzahlen für den neuen Sieben-Jahres-Haushalt der EU, den "Mehrjährigen Finanzrahmen" (MFR), liegen auf dem Tisch. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger will von 2021 bis 2027 rund 1300 Milliarden Euro ausgeben. Das entspricht 1,114 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der EU. Das sind aber nur rund zwei Prozent aller öffentlichen Ausgaben in den EU-Staaten. Von 100 Euro gehen also nur 2 Euro den Umweg über Brüssel.
Der Haushalt liegt im Moment bei einem Prozent des BIP. Er steigt gegenüber der laufenden Sieben-Jahres-Periode im nächsten Jahrzehnt also an, obwohl die EU kleiner wird. Großbritannien wird die EU im nächsten Jahr verlassen. Das ist eine der Herausforderungen, denn mit Großbritannien geht der drittgrößte Beitragszahler. Die "Brexit-Lücke" wird auf der Einnahmeseite rund 90 Milliarden Euro für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 betragen.
Der "Mehrjährige Finanzrahmen" ist alle sieben Jahre Anlass, Ausgaben und Einnahmen der EU auf den Prüfstand zu stellen. Diesmal wird ein harter Verteilungskampf zwischen den osteuropäischen und den südeuropäischen Staaten um die begehrten "Kohäsionsfonds" erwartet. Das sind Fördermittel für strukturell schwache, arme Regionen der EU. In Ungarn zum Bespiel werden praktisch alle öffentlichen Bauvorhaben mit EU-Mitteln finanziert. In Griechenland ist die Lage nicht viel anders.
Hier sind die wichtigsten Herausforderungen in der Haushaltsdebatte:
+ Bei den Kohäsionsfonds will der EU-Haushaltskommissar sparen, und zwar sieben Prozent. Die Agrarsubventionen sollen um fünf Prozent gekürzt werden. Zusammen sollen diese beiden dicksten Haushaltsbrocken nicht mehr 80 Prozent des Budgets, sondern nur noch 60 Prozent ausmachen.
+ Mehr Geld will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für neue Aufgaben ausgeben. "Jeder Euro, den wir ausgeben, muss einen europäischen Mehrwert produzieren", so Juncker bei der Vorstellung des Haushalts. Es müsse um gemeinschaftliche Aufgaben gehen, die die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht erfüllen könnten. Juncker denkt an den gemeinschaftlichen Grenzschutz. Dort sollen 8800 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Der Haushalt der Grenzschutzbehörde soll auf 35 Milliarden Euro verdreifacht werden.
+ Staaten, die mehr Migranten aufnehmen, sollen belohnt werden. Nicht nur das Pro-Kopf-Einkommen alleine, sondern auch dieses neue Kriterium soll über die Zuweisung von Strukturfonds entscheiden. Das könnte dazu führen, dass Staaten wie Polen oder Ungarn, die fast keine Flüchtlinge aufnehmen, weniger Geld bekommen. Polen hat bereits ein Veto angedroht.
+ Ausgezahlt werden soll im künftigen Haushalt auch nur, wenn ein Staat alle rechtsstaatlichen Anforderungen der EU-Kommission erfüllt. "Wir brauchen einen neuen Mechanismus, um unser Budget vor rechtsstaatlichen Risiken zu schützen, die von Staaten ausgehen, die keine unabhängige Justiz haben", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Dieser Mechanismus, so Juncker, werde auf alle 27 Mitgliedsstaaten angewandt und richte sich nicht gegen Ungarn oder Polen. Polen unterliegt im Moment einem formalen Verfahren wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche Regeln.
+ Für die Bekämpfung von Wirtschaftsflauten und Arbeitslosigkeit hat die EU-Kommission 25 Milliarden Euro vorgesehen, weitere 30 Milliarden zur Stabilisierung der Euro-Zone. Das sind Zugeständnisse an den französischen Präsidenten Emmanuel Maron. Der hatte ein eigenständiges Budget für die Euro-Länder gefordert. Das soll es allerdings nicht geben.
+ Die Förderung von Forschung und die Austauschprogramme für Studenten (Erasmus) sollen nicht gekürzt, sondern im Gegenteil verdoppelt werden. "Das ist eine große Priorität für uns. Austausch, sich kennenlernen ist das beste Mittel geben Populismus", sagte EU-Haushaltskommissar Oettinger bei Vorstellung des Haushalts im Europäischen Parlament. Für die Heranführung der sechs Westbalkan-Staaten sind die erforderlichen Mittel eingestellt. Auf den Haushalt kommen neue Belastungen zu sollten 2025 tatsächlich Serbien und Montenegro reif für einen Beitritt sein.
+ Auf die bisherigen Nettozahler kommen höhere Beiträge zu, um die Brexit-Lücke und Mehrausgaben zu finanzieren. Außerdem fällt mit dem Ausstieg Großbritanniens das bisherige Rabatt-System weg, das "überbordende" Beiträge verhindern sollte. Alles in allem könnten auf Deutschland von 2021 wesentlich höhere Zahlungen zukommen, teilte Finanzminister Olaf Scholz in Berlin mit. Statt bisher 14 würden künftig möglicherweise bis zu 19 Milliarden Euro netto fällig.
+ Bislang ist Deutschland das einzige Land, das bereit ist, wirklich mehr zu zahlen. Andere Netto-Zahler wie die Niederlande oder Österreich haben das hingegen abgelehnt und drohen mit einem Veto. In den kommenden Jahren werden einige bisherige Netto-Empfänger zu Netto-Zahlern. Das könnte die baltischen Staaten, Tschechien und die Slowakei betreffen. Entsprechend werden sich die Interessen dieser Mitglieder ändern. "Das ist der beste Beweis, dass die Kohäsionspolitik funktioniert", freut sich ein EU-Beamter. Die ehemals Armen werden reicher und tragen zur Finanzierung der anderen bei.
Langwieriges Tauziehen erwartet
Das Feilschen und Schachern um den Haushalt wird hart und langwierig. Darin sind sich erfahrene EU-Diplomaten sicher. Wenn es um Geld geht, hört auch in der EU die Freundschaft auf. EU-Haushaltskommissar Oettinger möchte den Billionen-Haushalt schon in einem Jahr unter Dach und Fach haben, noch vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2019. Das halten die Haushaltspolitiker im Europäischen Parlament für eine Illusion angesichts der großen Spannungsfelder im Haushaltsentwurf.
Einen Versuch unternimmt die EU-Kommission immer wieder. Sie möchte ihre Eigenmittel steigern, das heißt durch eigene Steuern direkt Geld einnehmen, um von den Beiträgen der Mitgliedsstaaten unabhängiger zu werden. Diesmal will Kommissar Oettinger ein Steuer auf Plastik etablieren und sich einen Anteil am Emmissionshandel sichern. Beides wird von den Mitgliedsstaaten sicherlich abgelehnt werden. Sie wollen sich die Hoheit über die Einnahmen der EU nicht nehmen lassen.