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Wurst mit Botschaft

Bernd Riegert8. Oktober 2014

Das Europaparlament hat schon viel gesehen. Der Auftritt von Conchita Wurst war trotzdem etwas Besonderes. Die Dragqueen versuchte, in Brüssel eine Botschaft loszuwerden und begeisterte ihre Fans.

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EU Conchita Wurst beim europäischen Parlament in Brüssel
Bild: DW/B. Riegert

Eine so große Menschenmenge versammelt sich nur selten vor dem Europäischen Parlament. Rund 2000 Abgeordnete, ihre Mitarbeiter, Praktikanten, Besuchergruppen und Passanten harrten im Regen aus, um zur Mittagspause eine bärtige Frau, eine Travestiekünstlerin aus Österreich singen zu hören. Conchita Wurst, die Gewinnerin des Eurovision Song Contest in diesem Jahr, wollte vor dem Trällern aber erst noch für ihre Sache trommeln. "Ich bin ja keine Politikerin, sondern nur Sängerin", kokettierte Conchita Wurst und hob dann zu einer fünfzehn Minuten langen Rede quer durch die europäische Geschichte vom Ersten Weltkrieg bis zum Eurovision Song Contest an, um bei ihrer Botschaft zu landen. Die Botschaft laute schlicht, Toleranz und Respekt für jeden der anders ist, hauchte sie ins Mikrofon und strich sich mit auslandener Geste durch die schwarze Perücke.

EU Conchita Wurst beim europäischen Parlament in Brüssel
Wurst (links) genießt das Blitzlicht im PressesaalBild: DW/B. Riegert

"Ich werde alles geben, was ich habe, um die zu unterstützen, die das wollen", hatte Wurst zuvor in einer richtigen förmlichen Pressekonferenz im Parlamentsgebäude erklärt. "Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft dürfen keine Rolle mehr spielen." Die stimmgewaltige Conchita Wurst, hinter der der 25 Jahre alte Thomas Neuwirth steckt, gab live mehrere Lieder zum Besten, natürlich auch ihren Sieger-Song "Rise Like A Phoenix". Das Publikum, darunter auch viele Aktivisten der Brüsseler Schwulen-, Lesben- und Transgenderszene, war begeistert.

EU Conchita Wurst beim europäischen Parlament in Brüssel Publikum
Conchita-Fans vor dem Parlament: We are unstoppableBild: DW/B. Riegert

Toleranz hat ihren Preis: 17000 Euro

Eingeladen zum Gastspiel mit politischen Einlagen hatte die grüne Vizepräsidentin des Parlaments, Ulrike Lunacek, zusammen mit Vertretern von drei anderen Fraktionen. "Wir haben viele Krisen in der Welt und das Parlament kümmert sich natürlich auch um Flüchtlinge und andere wichtige Dinge, aber ich glaube, dass die Botschaft von Conchita Wurst auch wichtig ist", sagte Lunacek, die ebenfalls aus Österreich stammt und seit 20 Jahren offen lesbisch lebt. In der EU gebe es immer noch zu viele Vorurteile gegen sexuelle Minderheiten. Die ganze Aktion habe 17.000 Euro für Bühne, Technik und Betreuung gekostet, die sie aus ihrem Etat für PR-Maßnahmen und Fraktionsgeldern bezahlt habe. Conchita Wurst verzichtete auf eine Gage und reiste von Wien mit ihrem Stab per Economy-Klasse nach Brüssel, so Lunacek.

Knatsch um die singende Wurst

Als Conchita Wurst im weißen Hosenanzug begleitet von vielen Kameras elegant durchs Parlament schwebte, erregte sie mehr Aufsehen als jeder der Kandidaten, die in diesen Tagen ihre Anhörung als EU-Kommissar durchstehen mussten. Da wurden noch schnell die Handys für ein schnelles Bild gezückt. "Das ist die Wurst", raunten einige Besucher. Dem ganzen Rummel kann Beatrix von Storch von der konservativen "Alternative für Deutschland" nichts abgewinnen. Sie kritisierte den Besuch scharf. "Wir diskutieren über Herrn Wurst, ein Mann in Frauenkleidern, der singt. Mir ist das einfach überbewertet im Vergleich zu den Problemen, die uns tatsächlich begegnen." In der EU, so die AFD-Abgeordnete, sei die Gleichberechtigung von Homosexuellen sowieso schon erreicht. "Wir tolerieren alle Homosexuellen, wir haben überhaupt kein Problem mehr. Wir reden die ganze Zeit über Homosexuelle, wir reden über Bisexuelle, wir reden über Transsexuelle, Intersexuelle, Intrasexuelle und so weiter; wir drehen uns sehr viel um unsere Sexualität und ich habe den Eindruck, dass auf europäischer Ebene und in den Mitgliedsstaaten dieses Thema eigentlich längst besprochen ist."

Beatrix von Storch
Beatrix von Storch: Zu viel Reden über SexualitätBild: DW/K. Kühn

Nana Mouskouri als Vorbild?

Conchita Wurst genoss derweil die Aufmerksamkeit durch Dutzende Kamerateams und Fotografen im Pressesaal. "Kritik ist mir egal. Keiner muss ja kommen, um mir zuzuhören", gab sie zu Protokoll. "Die Figur Conchita ist ein Stück der Torte meines Lebens. Die ist nicht nicht am Reißbrett entstanden", sagte Thomas Neuwirth, der seit seinem 14. Lebensjahr als Dragqueen auftritt und in Kopenhagen als bärtige Sängerin den europäischen Wettbewerb überragend gewann.

Nana Mouskouri 14. Juli 2014
Nana Mouskouri war auch Abgeordnete im EuropaparlamentBild: LOUISA GOULIAMAKI/AFP/Getty Images

In die Politik möchte sie nicht gehen, sagte er/sie auf Fragen der DW. "Als Künstlerin ist es für mich viel einfacher meine wahre Meinung zu sagen. Wir haben mehr Narrenfreiheit." Aber vielleicht werde man sich ja in zwanzig Jahren noch einmal hier im Parlament begegnen. Offenbar will sie vorerst nicht der griechischen Sängerin Nana Mouskouri nacheifern, die von 1994 bis 1999 Abgeordnete im Europäischen Parlament war. Auch sie ist, obwohl keine Dragqueen, sondern eine echte Frau, bis heute ein Idol vieler Schwuler und Lesben weltweit.

Das Europäische Parlament hat schon viele außergewöhnliche Besucher empfangen und exaltierte Persönlichkeiten als Abgeordnete erlebt. Der Dalai Lama, Pussy Riot, Bob Geldorf und Bono waren im Parlament. Viele gekrönte und ungekrönte Häupter durften vor dem Plenum sprechen. Am 25. November kommt Papst Franziskus.